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Wie kontrolliert man den ukrainischen Schuldner in der Krisenzeit?
Durch die Quarantäne, die am 12. März 2020 in der Ukraine eingeführt wurde, sahen sich viele ukrainische Unternehmen gezwungen, ihre Betriebstätigkeit zu reduzieren oder zeitweilig einzustellen. Für Dienstleistungsunternehmen (Hotelgewerbe, Unterhaltungseinrichtungen u.a.) sowie für Personenbeförderungsunternehmen gilt generell ein Verbot der Betriebstätigkeit.
Die Quarantäne ist bereits als Umstand höherer Gewalt gesetzlich definiert. Somit verfügen ukrainische Unternehmen über eine gesetzliche Grundlage für eine Haftungsbefreiung wegen der nicht fristgerechten Erfüllung von vertraglichen Verpflichtungen, soweit sie das geeignete Force-Majeure-Zertifikat erhalten haben.
In der letzten Zeit zeichnet sich die Situation in der Ukraine durch einen erheblichen Wirtschaftsrückgang aus. Darüber hinaus kam es zur Abwertung der ukrainischen nationalen Währung. Dadurch könnte angesichts der Erfahrungen aus den Jahren 2009 und 2014 verursacht werden, dass immer mehr ukrainische Vertragspartner ihren Vertragsverpflichtungen nicht nachkommen können. Viele ukrainische Unternehmen werden ihre Betriebstätigkeit einstellen müssen, entweder durch ein Liquidations- oder ein Insolvenzverfahren; die anderen aber werden in finanzielle Schwierigkeiten kommen.
Unter solchen Umständen wäre es für ausländische Vertragspartner und Investoren vorteilhaft, nicht abseits zu stehen und den Geschehensablauf nicht bloß zu beobachten, sondern verdächtige Handlungen ihrer ukrainischen Partner intensiv zu überwachen, um potentielle Probleme zu vermeiden.
Risikobestimmung
Sammlung von Informationen
Proaktive Schritte
Umwandlung oder Liquidation des ukrainischen Vertragspartners
Insolvenz des ukrainischen Vertragspartners
Risikobestimmung
Es ist zuerst festzustellen, inwieweit es wahrscheinlich ist, dass ein ukrainischer Vertragspartner seine Vertragsverpflichtungen verletzen kann. Hierfür wäre es empfehlenswert, vor allem folgende Faktoren zu analysieren:
1. die Vertragsbedingungen, insbesondere die Abfassung der Bedingungen hinsichtlich Zahlungsfristen und Vertragsstrafen für deren Verletzung sowie die Abfassung von Umständen, unter denen ein Zahlungsverzug möglich ist (darunter Umstände höherer Gewalt). Es sollte die Schadenshöhe, die durch die Nichterfüllung des Vertrags seitens des ukrainischen Partners angerichtet werden kann, ermittelt oder wenigstens beurteilt werden. Es sind auch das anwendbare Recht und die Gerichtsbarkeit zu prüfen, um im Streitfall ermessen zu können, welcher Gerichtsbarkeit die Sache untersteht und vor welcher Gerichtsbehörde sie verhandelbar ist;
2. Betriebsbesonderheiten des Vertragspartners und seine Abhängigkeit von der physischen Präsenz der Arbeitnehmer an ihren Arbeitsplätzen. Am meisten betroffen sind derzeit gerade Produktionsunternehmen, die keine Fernarbeit einführen können, sowie Gesellschaften, deren Tätigkeit einen unmittelbaren zwischenmenschlichen Kontakt voraussetzt;
3. Abhängigkeit des ukrainischen Vertragspartners von ausländischer Währung. Ein Importunternehmen wird sich also gezwungen sehen, zwischen einer Kostenerhöhung und einer Preissteigerung zu balancieren. Ein wichtiger Faktor sind auch eventuelle gesetzliche Währungsbeschränkungen, die das Währungskaufvermögen einer ukrainischen Gesellschaft sowie deren Möglichkeit der Überweisung an einen ausländischen Vertragspartner beeinflussen können;
4. Allgemeine Vertrauenswürdigkeit des ukrainischen Vertragspartners und bisherige Zusammenarbeit mit ihm. Dies betrifft auch die Frage, ob ein Verzug mit Zahlungen (insbesondere unbegründet) sowie sonstige Verletzungen von Vertragsverpflichtungen früher der Fall waren;
5. Derzeitige Vertragstreue. Geprüft werden müsste beispielsweise ein eventueller Verzug beim Erfüllen von Vertragsverpflichtungen, unbegründete Kommunikationspausen, zusätzliche Verpflichtungen und Vereinbarungen, die dokumentarisch nicht niedergelegt oder durch spürbare Handlungen nicht unterstützt sind (ein ungewöhnliches Verhalten des ukrainischen Partners kann von seinen potentiellen finanziellen Schwierigkeiten zeugen).
Für sich betrachtet, zeugen diese Faktoren von einer Vertragsverletzung bzw. einer eventuellen Insolvenz des ukrainischen Vertragspartners nicht, aber beim Vorliegen mindestens eines der oben genannten Faktoren sollten offene Informationsquellen hinsichtlich ukrainischer Vertragspartner untersucht werden.
Sammlung von Informationen
Beim erhöhten Risiko, dass ein ukrainischer Vertragspartner seinen Vertragsverpflichtungen nicht nachkommt und insbesondere seine Insolvenz anmeldet, wäre eine regelmäßige Informationsüberwachung gegenüber dem Vertragspartner zu empfehlen, und zwar hinsichtlich:
1. Änderungen im ukrainischen Handelsregister. Zu beachten sind nicht nur die Änderungen, die sich auf die Insolvenz oder Einstellung der Betriebstätigkeit des Vertragspartners beziehen, sondern auch die Änderungen, die aufgrund des plötzlichen Wechsels des Eigentümers (des Gesellschafters, des Aktionärs) oder der juristischen Anschrift vorgenommen wurden. Solche Änderungen können als Indikator dafür gelten, dass der ukrainische Partner weitere Schritte beabsichtigt;
2. Vollstreckungsverfahren, die gegen einen ukrainischen Vertragspartner eingeleitet sind. Das eingeleitete Vollstreckungsverfahren kann ein Zeichen dafür sein, dass beim Vertragspartner finanzielle Schwierigkeiten bestehen;
3. Veräußerung (Umregistrierung) von Vermögenswerten eines ukrainischen Vertragspartners zugunsten verbundener Gesellschaften (Eintragungsänderungen im Register der Belastungen des Immobilienvermögens bzw. im Register der Belastungen des beweglichen Vermögens). Dies kann ein Zeichen dafür sein, dass der Vertragspartner versucht, Vermögenswerte auf die Seite zu bringen;
4. Verbindlichkeiten beim Vertragspartner gegenüber dem Staat, einschließlich Steuerpfandrechte zugunsten des Staates;
5. Veröffentlichung einer Insolvenzerklärung oder Einleitung eines Sanierungsverfahrens beim Vertragspartner;
6. Einleitung von gerichtlichen Verfahren, in denen der Vertragspartner als Verfahrensbeteiligter auftritt;
7. Analyse von Zeitplänen der Gerichtssitzungen.
Proaktive Schritte
Soweit bestimmte Aktivitäten eines ukrainischen Vertragspartners im Rahmen der oben erwähnten Informationssammlung festgestellt wurden, lassen sich weitere Szenarien des Geschehensablaufs nachvollziehen:
1. Vorübergehende finanzielle und/oder betriebliche Schwierigkeiten beim ukrainischen Vertragspartner. In diesem Fall sollte die Situation wenigstens überwacht werden, indem diesem Vertragspartner mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es wäre sinnvoll, die Restrukturierung der Verbindlichkeiten als Option zu überlegen, wobei etwa das Recht erteilt werden kann, das jeweilige Vermögen oder den jeweiligen Anteil am Stamm- bzw. Grundkapital dieses ukrainischen Schuldners zu verpfänden oder die bestehenden Verbindlichkeiten in Eigenkapital des ukrainischen Schuldners umzuwandeln.
2. Erhebliche finanzielle Schwierigkeiten beim ukrainischen Vertragspartner. Davon können Gerichtsverhandlungen oder Zwangsvollstreckungsverfahren zeugen, in denen es sich um Beträge handelt, welche die Vermögenswerte dieses Vertragspartners wesentlich überschreiten. In diesem Fall wäre es zu empfehlen:
a) sich darauf vorzubereiten, dass der ukrainische Vertragspartner seine Vertragsverpflichtungen nicht erfüllen wird;
b) notwendige Unterlagen bereitzuhalten, um eine Klage bei Gericht erheben zu können (sofern der ukrainische Vertragspartner seine Vertragsverpflichtungen nicht erfüllt). Es sei nicht vergessen, dass Vollmachten, Handelsregisterauszüge und sonstige Unterlagen apostilliert/legalisiert werden sollen (je nachdem, in welchem Land der ausländische Vertragspartner seinen Sitz hat und wie schnell er handelt, kann die Beglaubigung von Unterlagen einige Wochen in Anspruch nehmen);
c) darauf zu achten, dass es mehrere Klagegründe gibt: es kann z.B. eine Klage gegen unerfüllte Vertragsverpflichtungen erhoben oder ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden. Im letzteren Fall schreibt das ukrainische Recht eine Frist vor, innerhalb deren die Gläubiger des ukrainischen Vertragspartners ihre Forderungen gegenüber diesem insolventen Unternehmen anmelden können.
3. Der ukrainische Vertragspartner leitet ein Auflösungsverfahren ein. Die Auflösung kann dabei im Wege einer Umwandlung (die Rechte und Pflichten werden auf die Rechtsnachfolger übertragen) oder im Wege der Liquidation verlaufen. Der ausländische Vertragspartner sollte jedenfalls an diesem Prozess aktiv engagiert sein, um seine Interessen verteidigen zu können, z.B. um seine Forderungen fristgerecht anzumelden.
Umwandlung oder Liquidation des ukrainischen Vertragspartners
Die Auflösung einer ukrainischen juristischen Person muss bekannt gemacht werden; in der jeweiligen Bekanntmachung ist die Frist anzugeben, innerhalb derer die Gläubiger ihre Forderungen geltend machen können (2 bis 6 Monate). Die ausländischen Gläubiger müssen ihre Forderungen fristgerecht anmelden sowie von ihren Gläubigerrechten im Umwandlungs- bzw. Liquidationsverfahren eines ukrainischen Insolvenzvertragspartners tatkräftig Gebrauch machen.
Nebenbei gesagt, darf die juristische Person, die aufgelöst wird und deren Verbindlichkeiten durch kein Pfandrecht abgesichert sind, vom Gläubiger aufgefordert werden, die Verbindlichkeiten zu löschen bzw. vorfristig zu erfüllen oder die Erfüllung der Verbindlichkeiten zu gewährleisten.
Daraus folgt: sobald eine Bekanntmachung über die Auflösung eines ukrainischen insolventen Vertragspartners zum Vorschein kommt, wäre es zweckmäßig:
- eventuelle Folgen für den ausländischen Gläubiger zu analysieren und eine Entscheidung zu treffen, ob der Vertrag mit dem ukrainischen Schuldner weiter laufen soll oder ob der ukrainische Schuldner zur sofortigen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten gefordert wird;
- Verbindlichkeiten des ausländischen Vertragspartners im Übergabeprotokoll bzw. in der Verteilungsbilanz richtig erfassen zu lassen.
Bei der Liquidation einer ukrainischen Gesellschaft ist zu beachten, dass die Gläubiger ihre Forderungen gegenüber dieser Gesellschaft innerhalb von 2 bis 6 Monaten geltend machen können. Diese Frist (in der Regel 2 Monate) wird von der Hauptversammlung der Gesellschafter (Aktionäre) bestimmt. Soweit die Liquidationskommission des ukrainischen insolventen Vertragspartners die Befriedigung der Gläubigerforderungen verweigert oder sich der Behandlung dieser Forderungen entzieht, ist der Gläubiger berechtigt, innerhalb von einem Monat (ab dem Datum, wenn er diese Verweigerung zur Kenntnis bekam oder zu bekommen hatte) eine Klage gegen die Liquidationskommission beim Gericht zu erheben. Es sei darauf hingewiesen, dass überfällige Gläubigerforderungen durch das Restvermögen der juristischen Person befriedigt werden, sobald fristgerecht angemeldete Gläubigerforderungen befriedigt worden sind.
Zu betonen ist, dass folgende Forderungen als getilgt gelten:
- Gläubigerforderungen, die von der Liquidationskommission nicht anerkannt wurden, es sei denn, dass der Gläubiger binnen Monatsfrist nach Erhalt der Bekanntmachung über eine vollständige oder teilweise Nichtanerkennung seiner Forderungen den Gerichtsweg beschreitet;
- Forderungen, deren Tilgung dem Gläubiger gerichtlich verweigert wurde; oder
- Forderungen, die wegen des Mangels der Vermögenswerte bei der zu liquidierenden juristischen Person ungetilgt bleiben.
Insolvenz des ukrainischen Vertragspartners
Die Insolvenz eines ukrainischen Vertragspartners kann zustande kommen, soweit sie von einem der Gläubiger oder vom Vertragspartner selbst beantragt worden ist. Dabei sind die Handlungen des Gläubigers (mit Ausnahme dessen, der das Insolvenzverfahren beantragte) in beiden Fällen identisch: er beantragt seine Forderungen gegenüber dem Schuldner.
Für ausländische Vertragspartner wäre es von Bedeutung, einige Besonderheiten des Insolvenzverfahrens in der Ukraine zu berücksichtigen:
1. Insolvenzgläubiger sind verpflichtet, beim Handelsgericht ihre Forderungen gegenüber einem ukrainischen Schuldner innerhalb von 30 Tagen ab Tag der Veröffentlichung der Bekanntmachung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens schriftlich zu beantragen;
2. Gläubiger, die es versäumen, ihre Forderungen fristgerecht beim Gericht anzumelden, sind mit anderen Gläubigern gleichberechtigt, soweit es sich um die Befriedigung der Gläubigerforderungen handelt (jedoch haben sie kein beschließendes Stimmrecht bei Gläubigerversammlungen und im Gläubigerausschuss);
3. Pfandgläubiger sind in ihren Interessen geschützt, die Bedingungen der Inanspruchnahme ihrer Pfandrechte sind geregelt;
4. Der Gläubiger, dem mindestens 25% der Stimmen zustehen, wird in den Gläubigerausschuss ohne weiteres Zutun aufgenommen;
5. Der Geschäftsführer eines verschuldeten ukrainischen Vertragspartners haftet gesamtschuldnerisch mit der Gesellschaft für die Nichtbefriedigung von Gläubigerforderungen. Es wäre sinnvoll, die Frage der eventuellen Verletzung der gesetzlichen Vorschriften seitens solchen Geschäftsführers individuell zu untersuchen und die Möglichkeit klarzustellen, ob Gläubigerforderungen gegenüber solchem Geschäftsführer geltend gemacht werden können;
6. Falls die Insolvenz des ukrainischen Schuldners durch ein Verschulden seiner Gesellschafter/Aktionäre oder anderer Personen, die das Recht haben, dem Schuldner verbindliche Anweisungen zu erteilen, oder die in der Lage sind, seine Handlungen auf andere Weise zu bestimmen, verursacht worden ist, haften die Gesellschafter bzw. Aktionäre des Schuldners (oder andere Personen) gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten des Schuldners, wenn das Vermögen des Schuldners nicht ausreicht;
7. Bestimmte Rechtsgeschäfte, die innerhalb von 3 Jahren vor der Einleitung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden, können für ungültig erklärt werden.