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Höhere Gewalt (force majeure) gemäß dem ukrainischen Recht
Am 17. März 2020 wurde das Gesetz der Ukraine «Über die Änderungen zu einigen Gesetzgebungsakten der Ukraine, die auf die Vorbeugung gegen die Entstehung und die Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit (COVID-19) gerichtet sind» verabschiedet. Nach diesem Gesetz wird „die Quarantäne“ als Umstand höherer Gewalt eingestuft.
Nach ukrainischem Recht sind die Umstände höherer Gewalt (die Force-Majeure-Umstände) außerordentliche und unabwendbare Umstände, die es objektiv unmöglich machen, den vertragsmäßigen Verpflichtungen nachzukommen. Zu solchen Umständen gehören Epidemien, Kriege oder bewaffnete Konflikte, Kampfhandlungen, Terroranschläge, Revolutionen, Streiks, Havarien, Brände, Explosionen, Export- und Importbeschränkungen, Naturkatastrophen usw.
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Als Umstände höherer Gewalt können auch solche Umstände anerkannt werden, die im Gesetz „Über die Industrie- und Handelskammern der Ukraine“ zwar nicht aufgelistet sind, aber welche die Kriterien der Umstände höherer Gewalt erfüllen, die gesetzlich zulässig sind und die von den Vertragsparteien als solche vereinbart worden sind, die sie der zivilrechtlichen Haftung entbinden.
In der Regel wird die Force-Majeure-Klausel nur formell in die Verträge aufgenommen, so dass sich dadurch nicht deutlich feststellen lässt, in welchem Zeitraum die Vertragspartei, die ihre Vertragsverpflichtungen wegen der Umstände höherer Gewalt nicht erfüllen kann, die andere Partei davon benachrichtigen soll. Weiterhin ist oft unklar, in welchem Verfahren und in welcher Form solch eine Benachrichtigung erfolgt; welche Folgen sich daraus ergeben, dass die andere Seite vom Eintritt des Ereignisses höherer Gewalt nicht benachrichtigt worden ist; und auf welche Weise die Tatsache bestätigt werden soll, dass die Umstände höherer Gewalt eingetreten sind. Beim Vertragsabschluss sollten also die Vertragsparteien nicht nur die als höhere Gewalt anzusehenden Umstände, sondern auch ein ausführliches Benachrichtigungsverfahren (per Telefon, Messenger, E-mail, Geschäftsbrief) in den Vertrag einschließen sowie die Folgen vereinbaren, die sich aus der Nichteinhaltung dieses Verfahrens ergeben.
Beim Vertragsabschluss haben die Parteien auch das Recht, selbständig zu bestimmen, bei welchen Umständen, soweit diese eingetreten sind, sie von der Haftung für die Nichterfüllung entbunden sind. Artikel 219 des Wirtschaftsgesetzbuches der Ukraine legt fest, dass gewisse Umstände, die infolge ihres außerordentlichen Charakters als Grundlage dafür dienen, dass eine Vertragspartei von der wirtschaftlichen Haftung entbunden wird, sofern sie ihre Verpflichtungen durch diese Umstände verletzt, von den Vertragsparteien vereinbart werden können. Dabei kann das Verfahren für den Beweis der Tatsache des Eintritts solcher Umstände von den Parteien vereinbart werden.
Es ist zu betonen, dass selbst die Tatsache des Bestehens eines jeweiligen Umstands (Brandentstehung, epidemiologische Gefahr, Naturkatastrophe, Quarantäne u. a. m.) keine höhere Gewalt darstellt. Solch ein Umstand lässt sich nur für den Fall als höhere Gewalt qualifizieren, dass die jeweilige Vertragspartei beweist, dass die vertragsmäßigen Verpflichtungen dadurch nicht erfüllt werden können.
Ein weiteres Moment liegt darin, dass das Vorliegen der Umstände höherer Gewalt die jeweilige Vertragspartei von der Haftung für die Nichterfüllung oder für die mangelhafte Erfüllung der diesbezüglichen Verpflichtung zwar entbindet, aber dadurch wird sie nicht von der Verpflichtung befreit, dieser nachzukommen, sobald keine höhere Gewalt mehr vorliegt.
Es ist auch von Bedeutung, zwischen höherer Gewalt und wesentlichen Veränderungen der vertragsmäßigen Umstände zu unterscheiden. Wesentliche Veränderungen der vertragsmäßigen Umstände sind eine besondere Kategorie der unvorhersehbaren Umstände, bei deren Eintritt (im Unterschied zum Ereignis höherer Gewalt) die ordnungsgemäße Vertragserfüllung zwar möglich, aber durch Unvorhersehbarkeit dieser Umstände erheblich erschwert ist. Art. 652 des Zivilgesetzbuches der Ukraine lautet: wenn sich die Vertragsparteien nicht darüber einigen können, den Vertrag mit den wesentlich veränderten Umständen in Einklang zu bringen, darf der Vertrag gekündigt oder gerichtlich geändert werden. Die Veränderung der Umstände gilt als wesentlich, wenn sich diese Umstände dermaßen veränderten, dass die Vertragsparteien, soweit sie das hätten vorsehen können, den Vertrag nicht abgeschlossen oder zu anderen Bedingungen abgeschlossen hätten. Sofern eine wesentliche Veränderung der von den Vertragsparteien beim Vertragsabschluss als Richtlinie genommenen Umstände vorliegt, darf der Vertrag wie vereinbart geändert oder gekündigt werden.
Das Zertifikat der Industrie- und Handelskammer der Ukraine stellt eine der Möglichkeiten dar, das Ereignis höherer Gewalt (die Unmöglichkeit, einer Vertragsverpflichtung nachzukommen) zu bestätigen. Die Vorschriften der Industrie- und Handelskammer der Ukraine legen einige Anforderungen an die Unterlagen fest, die eine der Vertragsparteien bei der Beantragung eines Zertifikats über die Umstände höherer Gewalt vorlegt. Mit diesen Unterlagen soll es bezeugt werden:
- die Unvorhersehbarkeit der Umstände (es war unmöglich, ihren Eintritt oder ihre Folgen vorzusehen, darunter zum Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsabschlusses, vor Beginn der Frist des Eintritts der Verpflichtung oder vor dem Eintritt der jeweiligen Verpflichtung);
- die Unvermeidbarkeit (die Unüberwindbarkeit) der Umstände (die Unüberwindbarkeit des Ereignisses und/oder seiner Folgen);
- die Außerordentlichkeit der Umstände (sie haben einen außerordentlichen Charakter und liegen außerhalb der Einflussbereiche der Vertragsparteien);
- Kausalzusammenhang zwischen dem Umstand / dem Ereignis und der Unmöglichkeit dessen, dass der Antragsteller seinen konkreten Vertragsverpflichtungen nachkommen kann.
Die IHK der Ukraine vereinfachte inzwischen das Beantragungsverfahren des Zertifikats. Für die Beantragung des Zertifikats über die Umstände höherer Gewalt sind derzeit folgende Unterlagen erforderlich:
- Antrag, der vom Betriebsleiter unterzeichnet und mit dem Betriebsstempel bescheinigt wird;
- Kopie des Vertrags;
- Kopie der innerbetrieblichen Anordnung (der Verordnung) angesichts der Notwendigkeit, die Betriebstätigkeit auf der Grundlage der jeweiligen normativen Rechtsakte einzustellen; und
- Benachrichtigung der anderen Vertragspartei über den Eintritt der Umstände höherer Gewalt.
Es soll auch darauf hingewiesen werden, dass sich nicht alle Ereignisse als Umstände höherer Gewalt einstufen lassen. Die Gesetzgebung der Ukraine enthält die Auflistung der Umstände, die nicht als höhere Gewalt betrachtet werden, insbesondere:
- Erhöhung der offiziellen und geschäftlichen Wechselkurse für ausländische Währungen;
- Mangel an Marktgütern, die für die Erfüllung der Verpflichtung notwendig sind, sowie Mangel an ausreichenden Geldmitteln beim Schuldner;
- Wirtschafts- und Finanzkrise;
- Staatsbankrott;
- Verletzung der Verpflichtungen, die vom Vertragspartner des Schuldners begangen worden ist;
- Umstände, die als Geschäftsrisiko definiert werden, usw.
Zusammengefasst: beim Eintritt der Umstände höherer Gewalt sollten die Vertragsparteien vor allem versuchen, zu einer Verständigung zu kommen und entsprechende Vertragsänderungen vorzunehmen, die auf die Befreiung von der Haftung bzw. von der Erfüllung der vertragsmäßigen Verpflichtungen in diesem Zeitraum bezogen sind, und erst danach sollten andere mögliche Varianten in Betracht gezogen werden.
Wenn es jedoch nicht gelingt, sich mit dem Vertragspartner zu verständigen, lohnt es sich, die vorhandenen Unterlagen und Beweise (darunter die Formulierungen der Vertragsbestimmungen bezüglich der Umstände höherer Gewalt, das Benachrichtigungsverfahren beim Eintritt der Umstände höherer Gewalt) gründlich zu untersuchen, das Vorliegen des Kausalzusammenhangs zwischen den Umständen und der Unmöglichkeit der Erfüllung der konkreten Verpflichtungen zu analysieren sowie sich auf die eventuelle Gerichtsverhandlung vorzubereiten, um eigene Interessen in dieser Situation effektiv verteidigen zu können. Zu beachten ist, dass die Beweislast beim Eintritt der Umstände höherer Gewalt dem Antragsteller aufgebürdet ist.