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25. Oktober 2022

Synchronisation der Energiesysteme der Ukraine und der EU

Einleitung
1. Was ist ENTSO-E?
2. Was ist Synchronisation?
3. Welche Chancen eröffnen sich für die Ukraine?
4. Warum ist der Export von ukrainischem Strom rentabel?
5. Möglichkeiten für die erneuerbare Energieerzeugung

 

Anmerkung: Aufgrund ständiger Angriffe auf kritische Energieinfrastrukturobjekte kann der Stromexport aus der Ukraine eingeschränkt werden.

Ab dem 16. März 2022 arbeitet das ukrainische Energiesystem synchron mit dem europäischen Kontinentalnetz ENTSO-E und ist Teil des europäischen Energieraums. Zunächst funktionierte das ukrainische Energiesystem im Probe-Notfall-Synchronisationsmodus, der keine Export-Import-Operationen mit europäischen Vertragsparteien umfasste. Die Situation änderte sich am 30. Juni 2022, als die Ukraine und ENTSO-E mit Export-Import-Operationen begannen. Das ukrainische Energiesystem befindet sich noch im Testmodus: um die Synchronisation abzuschließen, muss die Ukraine viele technische Unterlagen vorbereiten und unterzeichnen.

1. Was ist ENTSO-E?

ENTSO-E ist ein Verband von europäischen Übertragungsnetzbetreibern (ÜBNs, engl. Transmission System Operators, kurz TSOs) mit Sitz in Brüssel, der auf nicht-kommerzieller Basis die Zusammenarbeit von europäischen ÜBNs sowohl auf gesamteuropäischer als auch auf regionaler Ebene fördert. Er koordiniert die ÜBN-Aktivitäten in solchen Bereichen wie Übertragungsnetzbetrieb, Systementwicklung, Marktentwicklung und Forschung.

Das Leitungsgremium von ENTSO-E ist die Versammlung, die 39 Übertragungsnetzbetreiber vertritt. Die Arbeit von ENTSO-E konzentriert sich darauf, die Schaffung und das Funktionieren des Energiebinnenmarkts für Elektrizität und den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern. Darüber hinaus spielt der Verband eine aktive und wichtige Rolle im europäischen Normsetzungsverfahren im Einklang mit der EU-Gesetzgebung.

2. Was ist Synchronisation?

Synchronisation bedeutet, Energiesysteme so zu verbinden, dass sie in einem einheitlichen Netzwerk zusammenarbeiten können, wodurch Energiesysteme durch die Kombination von Erzeugung und Verbrauch gemeinsam funktionieren können. Das heißt, die Synchronisation ermöglicht Stromerzeugungskapazitäten, das gemeinsame Energiesystem mit Strom zu versorgen.

Zuvor, noch seit Sowjetzeiten und bis Februar 2022, war das ukrainische Energiesystem mit den Systemen Russlands und Weißrusslands synchronisiert. Derzeit sind einige baltische Länder noch mit diesen Systemen synchronisiert, suchen jedoch aktiv nach Möglichkeiten, diese Situation zu ändern.

Die Ukraine hat bereits 2017 mit den Vorbereitungen für die Synchronisation mit den EU-Energiesystemen begonnen. Die Synchronisation war für 2023-2024 geplant. Die erste Testabschaltung von den Energiesystemen Russlands und Weißrusslands zur Durchführung einer technischen Analyse des Betriebs des Systems in einem isolierten Zustand war ausgerechnet für den 24. Februar 2022 geplant. Nach dem Beginn des großangelegten Krieges seitens von Russland gegen die Ukraine bat die Ukraine ENTSO-E dringend um einen Anschluss, um die Stabilität des ukrainischen Energiesystems zu gewährleisten.

3. Welche Chancen eröffnen sich für die Ukraine

Am 7. Juni 2022 haben die ÜBNs der kontinentaleuropäischen Länder eine positive Entscheidung bezüglich der Anfrage von Ukrenergo auf Wiederaufnahme der Stromexporte aus der Ukraine getroffen. Um mit dem schrittweisen Aufbau von Exportkapazitäten zu beginnen, mussten sechs technische Bedingungen erfüllt werden, so dass die Genehmigung der Regionalgruppe „Kontinentaleuropa“ erhalten werden kann. Solche Maßnahmen waren notwendig, um die Stabilität des Betriebs des integrierten Energiesystems zu gewährleisten und das Dämpfungsvermögen für niederfrequente Schwingungen zu erhöhen.

Die Möglichkeit einer weiteren Steigerung des Exportvolumens wird diskutiert, weil dies für die beiden Parteien vorteilhaft wäre.

Erstens wird der Export von ukrainischem Strom in europäische Länder die Liquidität auf dem Strommarkt erhöhen und zusätzliche Einnahmen bringen. Unter den Bedingungen des Kriegszustands und der aktiven Feindseligkeiten kämpft die ukrainische Energieindustrie darum, die Finanzkennzahlen der Vorkriegszeit zu bewahren. Vor diesem Hintergrund wird der Stromexport zu einer wirtschaftlich sinnvollen Alternative zu neuen Darlehen und Krediten.

Zweitens wird die Lieferung von kohlenstoffarmem Strom aus der Ukraine die Energiesicherheit in der Region Mittel- und Osteuropa erheblich stärken. Zugleich können Stromlieferungen aus der Ukraine einen gewissen Anteil des Stromverbrauchs in diesen Ländern decken und ihre Abhängigkeit von Russland verringern.

Die Synchronisation der Energiesysteme und die Wiederherstellung der Stromexporte aus der Ukraine in die EU können somit zu einem Impuls für die Wiederherstellung der ukrainischen Stromerzeugung und die Heranziehung von zusätzlichen Investitionen in die ukrainische Wirtschaft werden.

4. Warum ist der Export von ukrainischem Strom rentabel?

Die Situation auf den Märkten der europäischen Länder ändert sich je nach Struktur der Stromerzeugung und des Stromverbrauchs sowie der Saisonalität.

Länder mit einem hohen Anteil an traditionellen Energiequellen in ihrer Energiebilanz sind Lieferanten von Strom (Deutschland, Frankreich, Polen und sogar die Ukraine).

Saisonale Länder, in deren Bilanz Wasserkraftwerke von großer Bedeutung sind, haben einen Überschuss, so dass sie Strom in der Saison der maximalen Nutzung von Wasserressourcen exportieren und in der Herbst-Winter-Periode importieren (die Slowakei, Österreich, die Schweiz, Rumänien, die Balkanländer). Auch die Entwicklung der Stromerzeugung aus anderen erneuerbaren Quellen wirkt sich auf die saisonalen Schwankungen der Gesamtstrombilanz aus. Es gibt auch Länder mit einem dauerhaften Defizit (Ungarn, Italien, Serbien). Infolgedessen schwanken die Preise auf den regionalen Märkten, aber ukrainischer Strom ist immer billiger.

Ab Anfang Oktober 2022 werden kommerzielle Exporte aus der Ukraine nach Rumänien und in die Slowakei durchgeführt. Strom wird auch nach Moldawien und Polen geliefert, aber dieser Export ist nicht wirtschaftlich und wird im Rahmen von separaten zwischenstaatlichen Abkommen durchgeführt.

Die Analyse der Geschichte der Exportbeziehungen für drei Exportmonate (Juli-September 2022) zeigt den gegenseitigen Nutzen aller Parteien. Dies liegt vor allem an den extrem hohen Preisen auf den europäischen Strommärkten sowie dem Stromüberschuss in der Ukraine aufgrund des Verbrauchsrückgangs in der Industrie.

Das Interesse der EU an ukrainischem Strom lässt sich auch an der beschleunigten Kapazitätssteigerung an zwischenstaatlichen Übergängen ablesen. Es geht insbesondere um Folgendes: wenn zu Beginn des Stromexports am 30. Juni 2022 die zulässige Kapazität 100 MWh betrug, wurde die Kapazität einen Monat später, am 30. Juli 2022, um das Zweieinhalbfache erhöht – auf 250 MWh. Gleichzeitig kündigte ENTSO-E mit dem Beginn der Exporte an, dass eine Kapazitätserhöhung frühestens im Oktober 2022 zustande kommt. Zum 1. Oktober 2022 betrug die zulässige Kapazität bereits 300 MWh; eine weitere Steigerung ist geplant.

Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die Synchronisation mit dem EU-Energiesystem und eine Erhöhung der Übertragungskapazität auch für die Ukraine notwendig sind, um ihre Energiesicherheit zu gewährleisten. Wenn beispielsweise die Energieinfrastruktur (insbesondere Kraftwerke) beschädigt wird, können die Versorger ihre Verbraucher mit Strom aus anderen Ländern versorgen, bis die Infrastruktur wiederhergestellt ist. Dies ist sehr wichtig, und zwar angesichts des nahenden Winters und der offenen Äußerungen von russischen Vertretern über weitere Angriffe auf ukrainische Energieanlagen.

Natürlich wurde die Attraktivität des Exports auch durch Veränderungen des Hrywnja-Wechselkurses der gegenüber anderen Währungen beeinträchtigt. Es kann daher mit einem weiteren Wachstum der Stromexporte und einer verstärkten Zusammenarbeit mit der EU im Energiesektor gerechnet werden.

5. Möglichkeiten für die erneuerbare Energieerzeugung

Die europäischen Länder bevorzugen die Produktion von grüner Energie gegenüber der Produktion aus traditionellen Quellen. Auch für die Wasserstoffproduktion soll grüne Energie genutzt werden.

Die Ukraine hat ein großes Potenzial für die Produktion von grüner Energie; viele Kraftwerke (hauptsächlich Solar- und Windkraftanlagen) wurden bereits gebaut und in Betrieb genommen. Derzeit sprechen europäische Organisationen, die an der Planung der Wiederherstellung des ukrainischen Energiesystems nach dem Krieg beteiligt sind, von der Priorität „grüner“ oder energieeffizienter Projekte. Das heißt, bei der Wiederherstellung eines zerstörten Kraftwerks, das zuvor Energie aus Gas oder Kohle produziert hat, ist es sinnvoll, eine neue Anlage zu bauen, die stattdessen Energie aus erneuerbaren Quellen produziert. Wenn dies nicht möglich oder nicht zweckmäßig ist, sollte ein solches Kraftwerk mit modernsten energieeffizienten Technologien umgebaut werden.

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Nach Schätzungen der International Renewable Energy Agency (IRENA) aus der Vorkriegszeit verfügt die Ukraine über das Potenzial, mehr als 320 GW Wind- und 70 GW Solarkraftwerke zu installieren. Dies ist ohne Berücksichtigung der Einschätzung des Potenzials zur Errichtung von Wind- und schwimmenden Anlagen in den Gewässern der Krim, was laut Weltbank mehr als 250 GW betragen kann. Das heißt, die gesamten installierten Kapazitäten von erneuerbaren Energiequellen in der Ukraine kann innerhalb von 10 Jahren 415 GW erreichen, und unter Berücksichtigung der geschätzten Kapazitäten von Krimprojekten kann es auf 700 GW kommen.

In jedem Fall muss der Bau von neuen Kapazitäten genehmigt werden, um die Aufrechterhaltung der Energiebilanz des Systems in der Ukraine zu gewährleisten. Kombiniert mit der Möglichkeit des Stromexports eröffnen die Grüner-Strom-Präferenzen neue Möglichkeiten für die Versorgung Europas mit grünem Strom.

Die Wasserstoffproduktion in der Ukraine kann auch ein Schlüsselinstrument für die Ukraine und die EU auf dem Weg zur Unabhängigkeit von russischen Energieressourcen und zur Beschleunigung des Übergangs zu grüner Energie sein. Für die Ukraine ist dies eine Chance, zum Hauptlieferanten von „Zukunftskraftstoffen“ für Europa zu werden.

Jedes Jahr verwendet die Welt bereits 70 Millionen Tonnen Wasserstoff als Chemikalie in einigen Herstellungsprozessen, z.B. in der Düngemittelproduktion. Fast der gesamte Wasserstoffumfang wird heute aus fossilen Brennstoffen hergestellt. Innovatoren arbeiten an einer Vielzahl von Technologien, von denen einige ausgereifter als andere sind.

Eine Möglichkeit ist die Nutzung von Sonnen-, Wind- oder Kernenergie, um Wasser in Wasser- und Sauerstoff umzuwandeln. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Wasserstoff mit bestehenden Methoden herzustellen, die fossile Brennstoffe verbrennen und das dabei entstehende CO2 einfangen, damit es nicht in die Atmosphäre entweicht. Andere reine Wasserstofftechnologien stehen erst am Anfang ihrer Entwicklung.

Die Vorteile von „grünem Wasserstoff“ werden täglich deutlicher. Die EU hat bereits angekündigt, bis 2030 20 Millionen Tonnen „grünen Wasserstoff“ produzieren und importieren zu wollen. Dies reicht aus, um die Abhängigkeit vom Import russischen Erdgases um mindestens ein Drittel zu reduzieren.

Untersuchungen zeigen, dass die Nachfrage nach Strom im Laufe der Zeit steigen wird, weil Wirtschaftssektoren ihren Verbrauch an fossilen Brennstoffen reduzieren. Und erneuerbare Energiequellen werden voraussichtlich einen entscheidenden Anteil an der globalen Energiebilanz einnehmen. Das Interesse an Wasserstoff als ökologisch sauberem Kraftstoff wächst stetig.

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