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8. Januar 2024

Erneuerbare Energien in der Ukraine: aktueller Sachstand

Einführung
1. Branchenprobleme
2. Positive Trends

 

Obwohl die Entwicklung der erneuerbaren Energien in der Ukraine seit dem Beginn der großangelegten russischen Invasion ins Stocken geraten ist, bleibt dieser Sektor auch für ausländische Investoren im Hinblick auf die Umsetzung neuer Projekte nach wie vor attraktiv.

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Nachdem wir den Entwicklungsprozess und die Herausforderungen, mit denen sich die Erzeuger erneuerbarer Energien in den letzten zwei Jahren konfrontiert sahen, untersucht haben, lassen sich daraus die wichtigsten Trends im ukrainischen Sektor der erneuerbaren Energien identifizieren.

1. Branchenprobleme

Das erste und wichtigste Problem des ukrainischen Sektors der erneuerbaren Energien sind die Schulden aus dem „grünen“ Tarif, die in den letzten Jahren durch unvollständige Zahlungen entstanden sind. Man kann lange nach den Gründen für diese Schulden suchen, ohne eine endgültige Antwort zu finden.

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Die Vergütung des „grünen“ Tarifs wird aus den Mitteln des nationalen Energieunternehmens „Ukrenergo“ (aus dem Stromübertragungstarif) und aus den Einnahmen des „Garantierten Abnehmers“ aus dem Stromverkauf finanziert.

Der Tarif für die Stromübertragung wird von der Regulierungsbehörde, nämlich der Nationalen Kommission für die staatliche Regulierung des Energiesektors und der kommunalen Dienstleistungen (National Commission for State Regulation of Energy and Public Utilities, NERC), festgelegt. Der Tarif wird an den Übertragungsnetzbetreiber, derzeit das nationale Energieunternehmen „Ukrenergo“, gezahlt. Der Tarif enthält unter anderem Mittel für die Vergütung des „grünen“ Tarifs.

Für das Jahr 2024 ist der Übertragungstarif auf 528,57 UAH/MWh (ca. 14.03,- USD/MWh), ohne Umsatzsteuer, festgelegt, einschließlich der Unterstützung für Stromerzeuger aus erneuerbaren Energiequellen in Höhe von 191,36 UAH/MWh, (ca. 5,08,- USD/MWh), ohne Umsatzsteuer. Dies bedeutet, dass mehr als ein Drittel des Übertragungstarifs für die Vergütung des „grünen“ Tarifs bestimmt ist.

Das staatliche Unternehmen „Garantierter Abnehmer“ ist ein Unternehmen, das speziell für die zentrale Beschaffung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen gegründet wurde.

Das bedeutet, dass die Stromerzeuger, die nach dem „grünen“ Tarif arbeiten, den gesamten Strom an den „Garantierten Abnehmer“ verkaufen und dass der „Garantierte Abnehmer“ diesen Strom auf dem Energiemarkt über Auktionen verkauft. Der „Garantierte Abnehmer“ bezahlt auch die Erzeuger nach dem „grünen“ Tarif und ist für den Kauf des Stroms für den Bedarf der ukrainischen Bevölkerung (Haushaltskunden) verantwortlich.

Im Großen und Ganzen scheint das System zwar kompliziert zu sein, aber unter normalen Bedingungen funktioniert es. Wenn sich jedoch die Schulden zwischen den Marktteilnehmern häufen, kommt es zu Schwierigkeiten.

Es ist derzeit schwierig, den genauen Betrag der Verbindlichkeiten gegenüber den Erzeugern des „grünen Tarifs“ zu schätzen, da der letzte Bericht über die Leistungsbilanz des „Garantierten Abnehmers“ (auf der offiziellen Website) aus dem Jahr 2019 stammt und der letzte Jahresabschluss aus dem Jahr 2021.

Es kann jedoch geschätzt werden, dass sich die Schulden aus dem „grünen“ Tarif auf mindestens 30 Mrd. UAH (ca. 796.232.700,- USD) belaufen.

Nach Angaben des „Garantierten Abnehmers“ belaufen sich die Schulden des Nationalen Energieunternehmens „Ukrenergo“ gegenüber dem „Garantierten Abnehmer“ für Vergütung des „grünen“ Tarifs zum 30. November 2023 auf 32,57 Mrd. UAH (ca. 864.443.300,- USD).

Gleichzeitig sieht der Zahlungsstand für Strom zum „grünen“ Tarif wie folgt aus:

  • für das Jahr 2023 – 55,3% (mit Ausnahme der letzten 10 Tage im November und Dezember des Jahres 2023);
  • für 2022 – 55,3%.

Es gibt mehrere Gründe für die Entstehung von Zahlungsrückständen. Die Überregulierung des Marktes und die Vermischung von Marktmechanismen mit zeitweiligen (und nicht so zeitweiligen) Restriktionen haben zu einer Situation geführt, die einem „mexikanischen Duell“ ähnelt: jeder Teilnehmer des Systems schuldet anderen Teilnehmern Geld, kann diese Schulden aber nicht begleichen, weil sie von den anderen Teilnehmern geschuldet werden.

Anzumerken ist, dass die Aufrechnung von Gegenforderungen (sog. Netting) zum Zwecke des Ausgleichs von Abrechnungen zwischen Marktteilnehmern in den meisten Fällen verboten ist. Eine solche Aufrechnung könnte jedoch den Schuldenstand verringern, ohne dass zusätzliche finanzielle Mittel erforderlich wären.

Es sollte jedoch bedacht werden, dass die Aufrechnung zwar die Höhe der Zahlungsrückstände in der Bilanz reduzieren würde, aber keine wirkliche Lösung des Problems der Zahlungen auf dem Markt wäre, für die vielmehr Systemänderungen in der Funktionsweise des Marktes erforderlich sind. Anfang Dezember 2023 schuldeten die Marktteilnehmer dem Nationalen Energieunternehmen „Ukrenergo“ 18,5 Mrd. UAH (ca. 491.010.165,- USD) aus dem Stromübertragungstarif.

Diese Schulden wurden hauptsächlich von den Universaldienstleistern (Universal Service Provider – USP) verursacht. Sie sind mit 15,8 Mrd. UAH (ca. 419.349.220,- USD) beim Nationalen Energieunternehmen „Ukrenergo“ verschuldet. Ein Universaldienstleister ist ein Stromversorger, der seinen Verpflichtungen zur Erbringung von Universaldienstleistungen nachkommt.

Universaldienstleistungen werden ausschließlich für Haushalte und kleine Nicht-Haushaltskunden erbracht. Gleichzeitig darf der Universaldienstleister den Abschluss eines Stromliefervertrages mit einem Verbraucher in seinem Versorgungsgebiet nicht ablehnen.

Das bedeutet, dass der Universaldienstanbieter ein Stromversorgungsunternehmen ist, das die ukrainische Bevölkerung mit Energie versorgt. Früher war dies die Aufgabe der „Oblenergos“ (regionale Gebietsenergieunternehmen), die mit der Reform 2019 in Verteilernetzbetreiber (zuständig für die Netze auf regionaler Ebene) und Universaldienstleister aufgeteilt wurden.

Der Universaldienstleister kauft den Strom zum Marktpreis und liefert ihn zu einem von der Regulierungsbehörde festgelegten Tarif an die Bevölkerung. Darüber hinaus ist der Universaldienstleister verpflichtet, den von den privaten Haushalten erzeugten Strom zu kaufen.

Die Differenz zwischen dem Marktpreis für Strom und den Haushaltstarifen sollte durch den Tarifdifferenzausgleichsmechanismus, d.h. zu Lasten des ukrainischen Haushalts, erstattet werden. Eine solche Erstattung sollte zumindest während der Übergangszeit (Übergang von regulierten Tarifen zu Marktpreisen) erfolgen. Allerdings ist der Übergang zu Marktmechanismen derzeit in Verzug, so dass die Frage der Ausgleichszahlungen an die Anbieter von Universaldienstleistungen weiterhin relevant ist.

Der „Garantierte Abnehmer“ ist nun gegenüber den Universaldienstleistern verschuldet: Anfang Dezember 2023 beliefen sich die Schulden auf 20,4 Mrd. UAH (ca. 541.438.240,- USD).

Der „Garantierte Abnehmer“ hat aber seinerseits Forderungen gegenüber staatlichen Erzeugern, die die Auferlegung Sonderverpflichtungen finanzieren (21,3 Mrd. UAH, ca. 565.325.220,- USD), PrivatAG Ukrhydroenergo (2,2 Mrd. UAH, ca. 58.390.400,- USD), dem staatlichen Kernenergieerzeuger „Energoatom“ (18 Mrd. UAH, ca. 477.739.620,- USD).

Sonderverpflichtungen sind Verpflichtungen, die bestimmten Marktteilnehmern auferlegt werden, um zu gewährleisten, dass der ukrainische Strommarkt im öffentlichen Interesse funktioniert.

Dazu gehören unter anderem:

  • Erhöhung des Anteils der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen;
  • Ausübung der Funktionen eines Universaldienstleisters;
  • Ausübung der Funktionen eines Versorgers „letzter Instanz“ (d.h. eines Versorgers, der Energie liefert, wenn es keinen anderen Versorger gibt);
  • Erbringung von Dienstleistungen zur Unterstützung der Entwicklung von Erzeugungskapazitäten;
  • Verbesserung der Effizienz der Kraft-Wärme-Kopplung.

Das Ministerkabinett der Ukraine kann den Marktteilnehmern bei Bedarf weitere Sonderverpflichtungen auferlegen. Durch die Auferlegung von Sonderverpflichtungen wird sichergestellt, dass die ukrainische Bevölkerung zu den festgelegten, unter den Marktpreisen liegenden Tarifen mit Strom versorgt bleibt.

Derzeit (bis zum 30. April 2024) beläuft sich der Festpreis für Strom für Haushaltskunden auf 2,2 UAH/kW (ca. 0.058 USD/kW), ohne USt. Gleichzeitig beträgt der gewichtete Durchschnittspreis für den An- und Verkauf von Strom auf dem Day-Ahead-Markt für diesen Zeitraum 4,10 UAH/kWh (ca. 0.11 USD/kW), ohne USt.

Sonderverpflichtungen zur Sicherung des öffentlichen Interesses am Funktionieren des Strommarktes hat übrigens auch der staatliche Kernenergieerzeuger „Energoatom“. Die Höhe seiner Verbindlichkeiten ist jedoch mit der Höhe der Gesamtverbindlichkeiten der anderen Teilnehmer gegenüber dem „Garantierten Abnehmer“ vergleichbar. Anders ausgedrückt: Die Verbindlichkeiten gegenüber dem staatlichen Kernenergieerzeuger „Energoatom“ machen fast die Hälfte der Verbindlichkeiten gegenüber dem „Garantierten Abnehmer“ aus.

Dies führt zu einer Situation, in der alle Beteiligten scheinbar schuldenfrei sind. Die Verschuldung auf dem Markt nimmt jedoch zu, auch im Rahmen des „grünen“ Tarifs.

Mögliche Lösungsansätze für diese Situation sind u.a:

  1. Anhebung des Tarifs für private Haushalte (bzw. generell der Übergang zu einem marktgerechten Tarif);
  2. Anhebung der Preisobergrenzen (d.h. der maximalen Grenzpreise für Strom auf dem Day-Ahead- und dem Intraday-Markt, die von den Teilnehmern des Strommarktes in der Ukraine festgelegt werden können) auf das Marktniveau oder auf das Niveau der europäischen Länder;
  3. Änderungen des Mechanismus der gegenseitigen Verpflichtungen der Marktteilnehmer.

Alle diese Möglichkeiten werden von den Marktteilnehmern seit geraumer Zeit diskutiert, aber es konnte bisher keine Einigung mit der staatlichen Regulierungsbehörde NERC erzielt werden.

Überraschenderweise hat diese Anhäufung von Schulden zu einem verstärkten Wettbewerb auf dem Markt geführt. Einige Erzeuger ziehen den Betrieb auf dem freien Markt der Nutzung des „grünen“ Tarifs vor. Auch werden neue Interaktionsmechanismen gesucht, um mögliche Schulden zu minimieren. Darüber hinaus hat sich der Wettbewerb zwischen den Bilanzierungsgruppen (balancing groups) verstärkt.

Eine Bilanzierungsgruppe ist ein Zusammenschluss von Strommarktteilnehmern, der geschaffen wird, um die Bilanzierung jedes einzelnen Teilnehmers zu erleichtern und die Verantwortung für Bilanzabweichungen (sog. Unbilanzen) zu teilen. Unbilanzen sind Abweichungen zwischen der prognostizierten Versorgung bzw. Verbrauch und der tatsächlichen Versorgung bzw. Verbrauch. Durch die Teilnahme an einer Bilanzierungsgruppe wird den Mitgliedern solcher Gruppe die Möglichkeit geboten, im Falle von Abweichungen erhebliche Einsparungen bei der Prognose zu erzielen.

2. Positive Trends

Trotz der Schwierigkeiten im Sektor der erneuerbaren Energien in der Ukraine gibt es auch positive Entwicklungen.

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So lag die Abrechnungsquote des „Garantierten Abnehmers“ mit Unternehmen, die Strom aus erneuerbaren Energiequellen erzeugen, im November 2023 bei über 91%. Am 27. Dezember 2023 lag die Abrechnungsquote für den Monat Dezember sogar bei 98,6%.

Am 27. Dezember 2023 hat der „Garantierte Abnehmer“ einen Teil der Schulden für den Monat Oktober beglichen, wodurch sich die Abrechnungsquote für den Monat Oktober 2023 auf 77,2% erhöhte.

Außerdem werden verschiedene Methoden entwickelt und diskutiert, um Mittel für die Bezahlung der „grünen“ Energieerzeugung zu beschaffen, und zwar:

1) Eine weitere Erhöhung des Stromübertragungstarifs beim Nationalen Energieunternehmen „Ukrenergo“. Der Übertragungstarif wird unter anderem die Zahlung an den „Garantierten Abnehmer“ enthalten. Die Marktteilnehmer stehen dieser Entscheidung jedoch skeptisch gegenüber, da sie das Problem nicht grundsätzlich löst;

2) Schaffung eines CO2-Handelsmarktes. Im November 2023 kündigte das ukrainische Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen die Eröffnung der ukrainischen Klimabehörde an.

Die Klimabehörde soll dabei helfen, Wirtschaftssektoren zu dekarbonisieren, eine Anpassungspolitik zu entwickeln, junge Menschen und Regionen auf dem Weg zum European Green Deal zu unterstützen und das Pariser Abkommen umzusetzen.

Die Idee ist, dass ukrainische Unternehmen mit ihren „CO2-Einheiten“ handeln können. Es ist jedoch schwer vorherzusagen, wann dieses System eingeführt wird und wie es funktionieren wird.

3) Feed-in-premium. Am 30. Juni 2023 wurden Änderungen des ukrainischen Gesetzes „Über erneuerbare Energiequellen“ verabschiedet. Die wichtigsten Änderungen betreffen das Anreizsystem für Stromerzeuger aus erneuerbaren Energiequellen.

Die nationale Regulierungskommission NERC ist dabei, die Regeln für den Marktprämienmechanismus für erneuerbare Energien in Zusammenarbeit mit den Marktteilnehmern zu entwickeln.

Aus heutiger Sicht scheint die Einspeisevergütung (feed-in-premium) der vielversprechendste Bereich zu sein. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich dabei um eine Zusatzzahlung an den Stromerzeuger nach „grünem“ Tarif in Höhe der Differenz zwischen Marktpreis und „Grün-Tarif“.

Dies bedeutet, dass der Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energiequellen selbstständig auf dem Markt agiert und der „Garantierte Abnehmer“ den Stromerzeuger bis zur Höhe seines „grünen“ Tarifs (oder bis zur Höhe des Auktionstarifs, wenn das Recht auf die Einspeiseprämie (feed-in-premium) durch eine Auktion erworben wurde) zusätzlich bezahlt.

In diesem Fall wird der „Garantierte Abnehmer“ von der Funktion des „Grünstromhändlers“ entlastet und die finanzielle Belastung durch die Vergütung des „grünen“ Tarifs wird erheblich reduziert.

Gleichzeitig ist damit ein erheblicher Nachteil für die Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energien verbunden. Sie werden nämlich gezwungen sein, selbst am Stromhandel am Markt teilzunehmen, d.h. ihre Aktivitäten am Markt selbst zu planen, zu bilanzieren und die Verantwortung für Bilanzabweichungen eigen zu tragen.

Allerdings lassen sich nicht alle Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energiequellen von einem unabhängigen Markt einschüchtern. Einige lehnen den „grünen“ Tarif sogar bewusst ab, um frei auf dem Markt agieren zu können.

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Dies ist sowohl auf den relativ niedrigen „grünen“ Tarif in der Ukraine für die Inbetriebnahme von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ab dem Jahr 2023 als auch auf die im Rahmen des „grünen“ Tarifs aufgelaufenen Schulden und die ungewissen Aussichten für deren Rückzahlung zurückzuführen.

Ein Beispiel dafür ist der Bau des Windparks Tyligul. Dieser Windpark in der Region Mykolaiw war weltweit der erste Windpark, der während des Krieges errichtet wurde. Er ist auch der erste Erzeuger erneuerbarer Energie, der sich für den freien Markt statt eines „grünen“ Tarifs entschied.

Die erste Ausbaustufe des Windparks Tyligul (mit einer Leistung von 114 MW und 19 in Betrieb befindlichen Turbinen) wurde im Mai 2023 in Betrieb genommen. Anfang Dezember 2023 wurde der Bau der zweiten Ausbaustufe des Windparks bekannt gegeben. Die geplante Kapazität beider Ausbaustufen beträgt 500 MW.

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