Öffentliche Beschaffungen in der Ukraine: Chancen für ausländische Unternehmen
Einleitung
1. Besonderheiten des öffentlichen Beschaffungswesens während des Krieges
2. Beteiligung von ausländischen Unternehmen an öffentlichen Beschaffungen
3. Feststellung der Konformität eines Unternehmens und seiner Produkte mit den Beschaffungsbedingungen
4. Einreichung von Ausschreibungsangeboten
5. Lösung von strittigen Situationen
6. Öffentliche Beschaffungen ohne Ausschreibung
Die bewaffnete Aggression der russischen föderation gegen die Ukraine ist der größte Konflikt auf dem Territorium Europas seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber die beispiellose Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, ermöglicht es der Ukraine, dem Aggressor nicht nur wirksam Widerstand zu leisten, sondern auch Wiederaufbauprozesse einzuleiten. In den ersten 9 Monaten des Krieges hat sich das System der Bereitstellung und Nutzung der internationalen finanziellen Unterstützung in der Ukraine wirklich etabliert und damit wirtschaftliche Möglichkeiten für europäische Unternehmen geschaffen.
Finanzspritzen aus Partnerländern und eine Neuorientierung von ukrainischen staatlichen Haushaltsausgaben haben das öffentliche Beschaffungswesen in der Ukraine zum finanziell sichersten und stabilsten Markt für Waren und Dienstleistungen gemacht.
Das öffentliche Beschaffungswesen in der Ukraine ermöglicht eine faire und transparente Verwendung der Mittel, die der Ukraine von internationalen Gebern zur Verfügung gestellt werden. Die ukrainische Gesetzgebung erlaubt ausländischen Unternehmen, darunter auch aus dem deutschsprachigen Raum, sich an öffentlichen Beschaffungen in der Ukraine zu beteiligen.
1. Besonderheiten des öffentlichen Beschaffungswesens während des Krieges
Die von der ukrainischen Regierung für die Kriegszeit festgelegten Regeln ermöglichen eine effektive, wirtschaftliche und schnelle Durchführung von öffentlichen Beschaffungsverfahren.
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Nach diesen Regeln gibt es in der Ukraine drei (3) Arten, öffentliche Beschaffungen durchzuführen:
- ohne Nutzung des elektronischen Beschaffungssystems ProZorro – durch Abschluss von sogenannten direkten Verträgen zwischen dem Auftraggeber (Verwalter bzw. Empfänger von staatlichen Haushaltsmitteln) und dem Lieferanten;
- durch Abschluss von Rahmenverträgen;
- durch Anwendung von öffentlichen Ausschreibungen oder durch Einsatz von elektronischen Katalogen.
Als gebräuchlichste Art der Durchführung von öffentlichen Beschaffungen gilt das Verfahren der offenen Versteigerungen unter Einsatz des elektronischen Beschaffungssystems ProZorro.
2. Beteiligung von ausländischen Unternehmen an öffentlichen Beschaffungen
Deutsche, österreichische und schweizerische Unternehmen können auch an Versteigerungen in allen Phasen der Beschaffungen offen und transparent teilnehmen.
Es ist zu beachten, dass die nachfolgend aufgezählten natürlichen und juristischen Personen an öffentlichen Beschaffungen in der Ukraine nicht teilnehmen dürfen: Einwohner der russischen föderation und der Republik Belarus sowie Unternehmen, die in diesen Ländern ansässig sind oder dort ihre wirtschaftlichen Endbegünstigten haben. Auch Waren, Werke und Dienstleistungen aus der russischen föderation und der Republik Belarus dürfen nicht zu öffentlichen Beschaffungen zugelassen werden.
Um erfolgreich an öffentlichen Beschaffungen in der Ukraine teilnehmen zu können, müssen ausländische Unternehmen einige grundlegende Aspekte berücksichtigen:
- Feststellung der Konformität des entsprechenden Unternehmens und seiner Produkte mit den Beschaffungsbedingungen;
- Einreichung von Angebotsvorschlägen;
- Lösung von strittigen Situationen.
3. Feststellung der Konformität eines Unternehmens und seiner Produkte mit den Beschaffungsbedingungen
Offene Ausschreibungen finden statt, um Folgendes zu beschaffen:
- Waren und Dienstleistungen (mit Ausnahme von Dienstleistungen für laufende Reparaturarbeiten), deren Wert 100.000,- UAH (etwa umgerechnet: 2.500,- EUR) beträgt oder übersteigt;
- laufende Reparaturdienstleistungen, deren Wert 200.000,- UAH (etwa umgerechnet: 5.000,- EUR) beträgt oder übersteigt;
- Werke, deren Wert 1.500.000,- UAH (etwa umgerechnet: 37.500,- EUR) beträgt oder überschreitet.
Bei der Bewertung von neuen Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Teilnahme am öffentlichen Beschaffungswesen in der Ukraine müssen ausländische Unternehmen berücksichtigen, dass Ausschreibungen gemäß den neuen Vorschriften nur in ukrainischer Sprache veröffentlicht werden. Dementsprechend muss die richtige Suche nach Gelegenheiten (Anzeigen etc.) unter Berücksichtigung der richtigen Übersetzung erfolgen.
Um die potenzielle Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der Teilnahme an einem bestimmten öffentlichen Beschaffungsverfahren zu bestimmen, ist es notwendig, die Ausschreibungsunterlagen zu studieren. Die Ausschreibungsunterlagen legen Folgendes fest: die Qualifikationsanforderungen für die Teilnehmer sowie die technischen, qualitativen und quantitativen Merkmale der zu beschaffenden Waren (Werke, Dienstleistungen) sowie andere Bedingungen für das Beschaffungsverfahren (einige besondere Anforderungen, deren Einhaltung erforderlich ist, um Angebote erfolgreich abzugeben und die Ausschreibung zu gewinnen).
Die Analyse der Ausschreibungsunterlagen ist vielleicht der wichtigste Schritt für die Teilnahme an einem öffentlichen Beschaffungsverfahren. In dieser Phase wird die potenzielle Gelegenheit zur Teilnahme an einer bestimmten Beschaffung bestimmt, und die in den Ausschreibungsunterlagen festgelegten Anforderungen werden sorgfältig analysiert. Wenn sich ein Unternehmen beispielsweise ausschließlich mit dem Verkauf von medizinischen Röntgendiagnostikgeräten (medical x-ray diagnostic equipment) beschäftigt, so ist seine Beteiligung an der Beschaffung von zerstörungsfreien Röntgengeräten in der Industrie (industrial machines for x-ray non-destructing testing) kaum als zweckmäßig anzusehen. Es gibt auch Fälle, in denen die Ausschreibungsunterlagen oder Gesetze Anforderungen für die Lokalisierung des Produkts festlegen (einige Waren, die bei Ausschreibungen in der Ukraine beschaffen werden, müssen mindestens 10% von lokalen Bestandteilen enthalten).
Gleichzeitig kommt es relativ häufig vor, dass in den Ausschreibungsunterlagen überflüssige, übertriebene oder unbegründete Anforderungen festgelegt werden. Solche Anforderungen können als diskriminierend und als solche anerkannt werden, die die Teilnahme an der betreffenden Beschaffung verhindern (z.B., die Festlegung von technischen Anforderungen einer bestimmten Art, die ausschließlich einem Hersteller eigen sind, ohne dass sein objektiver Bedarf dafür besteht). Solche Fälle können auch die Aufstellung von vagen oder unklaren Anforderungen und Bedingungen umfassen, die bei der Prüfung und Bewertung von Ausschreibungsangeboten möglicherweise missbraucht und manipuliert werden können.
Um unnötige Kosten zu vermeiden und eine angemessene Gelegenheit zur effektiven Teilnahme an der Ausschreibung nicht zu verpassen, ist Folgendes erforderlich:
- Ausschreibungsunterlagen auf Übereinstimmung mit den Anforderungen der ukrainischen Gesetzgebung und den Interessen des potenziellen Teilnehmers zu analysieren;
- Festlegung des Verfahrens zur Abgabe von Ausschreibungsangeboten sowie Bestimmung von Anforderungen daran;
- Lieferbedingungen (Ausführung von Werken, Erbringung von Dienstleistungen) und Anforderungen an das Produkt (Lokalisierung, Eigenschaften) im Detail zu untersuchen und zu klären und diese mit den Fähigkeiten, dem Status und den Interessen des antragstellenden Unternehmens in Beziehung zu setzen;
- gegenüber dem Auftraggeber entsprechende Anfragen bezüglich der Klärung von bestimmten Bedingungen der Ausschreibungsunterlagen zu stellen;
- Anforderungen zur Beseitigung von diskriminierenden Anforderungen und Bedingungen zu erstellen und ordnungsgemäß zu übermitteln; dies betrifft auch die Anforderungen, die die Rechte und Interessen eines potenziellen Teilnehmers bei der Durchführung einer objektiven und wettbewerblichen Auswahl verletzen;
- Beschwerden über solche Bedingungen in den Ausschreibungsunterlagen zu erstellen und beim Kartellamt der Ukraine ordnungsgemäß einzureichen.
4. Einreichung von Ausschreibungsangeboten
Das Verfahren zur Abgabe von Ausschreibungsangeboten muss sowohl die ukrainischen Rechtsvorschriften über das öffentliche Beschaffungswesen als auch besondere Anforderungen in den speziellen Ausschreibungsunterlagen berücksichtigen.
Es sollte berücksichtigt werden, dass die Fristen für die Durchführung von offenen Ausschreibungen und die Fristen für ihre Anfechtung kurz sind – so lauten die neuen Regeln. Beispielsweise kann die Frist für die Abgabe von Ausschreibungsangeboten nur sieben (7) Tage ab Bekanntgabe von offenen Ausschreibungen betragen, und der Beschaffungsvertrag kommt spätestens 15 Tage ab dem Datum der Entscheidung über die Absicht, einen Beschaffungsvertrag abzuschließen. Dementsprechend wurden auch die Beschwerdefristen verkürzt:
- für Bedingungen der Ausschreibungsunterlagen – spätestens drei (3) Tage vor Ablauf der Angebotsfrist;
- für Entscheidungen nach Bewertung von Angeboten – innerhalb von fünf (5) Tagen.
Auch das Verfahren zur Einreichung und Bewertung von Ausschreibungsangeboten der Teilnehmer ist einfacher und flexibler geworden:
- in bestimmten Fällen kann der Preis eines Ausschreibungsangebots den erwarteten Wert übersteigen;
- Ausschreibungen werden nicht abgebrochen, wenn nur ein Teilnehmer sein Angebot abgegeben hat;
- es ist möglich, während der Prüfung des Ausschreibungsangebots eines Teilnehmers Widersprüche in den vom Teilnehmer vorgelegten Informationen oder Unterlagen zu korrigieren, auch in Bezug auf die Erfüllung der Anforderungen der technischen Spezifikation.
Dieses Tempo und die Flexibilität von öffentlichen Beschaffungsverfahren machen es erforderlich, dass Bewerber ihre Angebote sorgfältig vorbereiten müssen (es gibt jetzt weniger Zeit, um diese zu korrigieren). Darüber hinaus ist es notwendig, auf sich ändernde Umstände bei Ausschreibungsverfahren sehr dynamisch zu reagieren und genug Zeit zu haben, um die erforderlichen Unterlagen und Informationen rechtzeitig einzureichen.
Dazu ist Folgendes nötig:
- Ausschreibungsangebote auf Konformität mit den Anforderungen der Ausschreibungsunterlagen zu prüfen (z.B. die Verfügbarkeit aller erforderlichen Unterlagen und Informationen, die in den Ausschreibungsunterlagen verlangt werden);
- Bescheinigungen oder Erläuterungen, die in den Ausschreibungsunterlagen vorgesehen sind, rechtzeitig und ordnungsgemäß zu erstellen (oder zu erhalten); es kann beispielsweise um Erläuterungen über das Fehlen eines bestimmten Dokuments gehen, weil es die Verpflichtung fehlt, dieses zu haben, oder weil ein inhaltlich und rechtlich ähnliches Dokument vorliegt). Manchmal werden solche Dokumente in den Ausschreibungsunterlagen nicht ausdrücklich angegeben, aber im Ausschreibungsverfahren wird es deutlich, dass diese notwendig sind.
5. Lösung von strittigen Situationen
Die ukrainischen Rechtsvorschriften zum öffentlichen Beschaffungswesen bieten Möglichkeiten zum Schutz von Teilnehmern an öffentlichen Beschaffungen (darunter auch von potentiellen Teilnehmern). Zu diesem Zweck hat das Kartellamt der Ukraine eine spezielle Beschwerdeinstanz geschaffen: es geht um ein Gremium (Ausschuss) zur Prüfung von Beschwerden über Gesetzesverstöße im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens.
Diese Instanz prüft Beschwerden gegen Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen des Auftraggebers, die der Gesetzgebung im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens widersprechen und die Rechte oder die gesetzlichen Interessen von Teilnehmern und Unternehmen verletzen, die an der Teilnahme an öffentlichen Beschaffungen interessiert sind.
Beschwerden können von folgenden Unternehmen eingereicht werden:
- die an den Beschaffungen teilnehmen wollen, aber aufgrund von bestimmten Bestimmungen in den Ausschreibungsunterlagen nicht mit einer objektiven und unvoreingenommenen Prüfung ihrer Angebote rechnen können oder gar nicht teilnehmen können, insbesondere wegen der Festlegung von diskriminierenden Bedingungen (Anfechtung der Bedingungen in der Ausschreibungsdokumentation);
- die an der Beschaffung teilgenommen haben, deren Angebote aber vom Auftraggeber unangemessen abgelehnt wurden, oder es kann auch um Angebote anderer Teilnehmer gehen, die hätten müssen abgelehnt werden, die aber unter Verletzung des Grundsatzes der Objektivität und Nichtdiskriminierung angenommen wurden (Anfechtung der nach Bewertung von Ausschreibungsangeboten getroffenen Entscheidungen).
Die Vorbereitung und Einreichung von Beschwerden erfordern eine sorgfältige Einhaltung der gesetzlich festgelegten Verfahrensvorschriften und -formalitäten. Darüber hinaus ist es erforderlich, entsprechende Beweise für Verstöße zu sammeln und diese ordnungsgemäß vorzubereiten.
In manchen Fällen ist sinnvoll und zweckmäßig, dass ein Vertreter von antragstellenden Unternehmen oder ein Teilnehmer an der Prüfung der Beschwerde beteiligt ist.
6. Öffentliche Beschaffungen ohne Ausschreibung
Auch die Möglichkeit, Waren und Dienstleistungen in der Ukraine ohne offene Ausschreibungen zu erwerben, sollte nicht außer Acht gelassen werden. Unter anderem kann folgendes Verfahren angewendet werden:
- für die Beschaffung von Waren, Werken und Dienstleistungen für den Bau, den Wiederaufbau, die Großinstandsetzung und die Einrichtung von Wohnungen von binnenvertriebenen und evakuierten Personen;
- für Bau, Wiederaufbau, Groß- oder laufende Instandsetzung, Einrichtung von Zivilschutzbauten, darunter mit doppeltem Verwendungszweck, sowie von einfachsten Bauwerken und Unterständen;
- zur Vorbereitung auf die Heizperiode (mit Ausnahme der Beschaffung von Energieträgern);
- für die Beschaffung von Waren, Werken und Dienstleistungen zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit von kritischen Infrastruktureinrichtungen.
Die in der Ukraine geltenden Regeln und Verfahren des öffentlichen Beschaffungswesens bieten deutschen Exporteuren die Möglichkeit, ihre Absatzmärkte in Krisenumständen zu erweitern, sowie die Transparenz und die Effizienz der Verwendung von internationalen Finanzhilfen wirksam zu unterstützen.