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19. Mai 2023

Energiesektor der Ukraine: Stromhandel

Einleitung
1. Export- und Importmöglichkeiten
2. Erneuerbare Energie
3. Aktuelle Situation bei Exporten und Importen

 

Seit Mitte März 2022 funktioniert das ukrainische Energiesystem synchron mit dem europäischen Kontinentalnetz ENTSO-E und ist ein Teil des europäischen Energieraums. Ende Juni 2022 starteten Export- und Import-Geschäfte zwischen der Ukraine und ENTSO-E. Das ukrainische Energiesystem arbeitete im Testmodus, die Ukraine musste viele technische Unterlagen vorbereiten und unterzeichnen, um die Synchronisierung zu vollenden.

Um mit der schrittweisen Erhöhung der Nettokapazität der Exportrichtung beginnen zu können, mussten vor der Genehmigung durch die Regionalgruppe Kontinentaleuropa (RGCE) sechs technische Voraussetzungen erfüllt sein. Dies war notwendig, um die Stabilität des vereinigten Energienetzes zu gewährleisten und die Dämpfungsfähigkeit für niederfrequente Schwingungen zu erhöhen.

Infolge der Raketenangriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur, welche am 10. Oktober 2022 begannen, wurde beschlossen, den Stromexport ab dem 11. Oktober 2022 einzustellen.

Glücklicherweise verfügt die Ukraine über ein entwickeltes und umfangreiches Energiesystem, so dass es nicht so einfach ist, dieses bis zur Funktionsunfähigkeit zu beschädigen. Als Folge der russischen Angriffe auf Energieanlagen in der Ukraine wurden Zeitpläne für vorübergehende Stromausfälle eingeführt, um das Energiesystem auszugleichen.

Derzeit muss die Ukraine entsprechende Verträge mit benachbarten Übertragungsnetzbetreibern unterzeichnen. Darüber hinaus ist es notwendig, einige gesetzliche Regelungen zu ändern, um die ukrainische und europäische Gesetzgebung im Bereich des Stromhandels zu harmonisieren.

1. Export- und Importmöglichkeiten

Erstens, wird die Möglichkeit, mit Stromexporten in europäische Länder zu beginnen, in der Ukraine als eine Option betrachtet, um die Liquidität des Strommarktes zu erhöhen und zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Unter den Bedingungen des Kriegsrechts und der aktiven Feindseligkeiten ist es für die ukrainische Energiewirtschaft äußerst schwierig, die Finanzindikatoren der Vorkriegszeit aufrechtzuerhalten. Daher kann die Aufnahme des Stromexports eine wirtschaftlich sinnvolle Alternative zu neuen Darlehen und Krediten sein.

Zweitens wird durch die Lieferung von kohlenstoffarmem Strom aus der Ukraine die Energiesicherheit in Mittel- und Osteuropa deutlich gestärkt. Gleichzeitig können Stromlieferungen aus der Ukraine einen Teil des Stromverbrauchs in diesen Ländern decken und ihre Abhängigkeit von der russischen föderation verringern.

Darüber hinaus ist die ukrainische Regierung auf Stromimporte angewiesen, um mögliche Defizite in der heimischen Stromproduktion für den nächsten jährlichen Lastabwurf im Winter auszugleichen. Es ist also damit zu rechnen, dass die entsprechenden Gesetze (zur Sicherstellung von normalen Importen) bis Ende Sommer – Anfang Herbst 2023 verabschiedet werden.

2. Erneuerbare Energie

Der Stromexport kommt auch den ukrainischen Produzenten „grüner“ Energie zugute.

Die Ukraine verfügt über ein großes Potenzial für die Produktion von „grünem“ Strom. Viele Kraftwerke (hauptsächlich Solar- und Windkraftwerke) wurden bereits gebaut. Auch europäische Organisationen, die an der Planung der Wiederherstellung des ukrainischen Energiesystems nach dem Krieg beteiligt sind, betonen die Notwendigkeit, „grünen“ oder energieeffizienten Projekten den Vorzug zu geben. Das heißt, beim Wiederaufbau eines zerstörten Kraftwerks, welches Energie aus traditionellen Quellen (Gas, Kohle) erzeugte, ist es sinnvoll, an dessen Standort eine neue Energieanlage zu bauen, welche Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugen wird. Wenn dies nicht möglich oder ineffizient ist, sollte ein solches Kraftwerk in der Ukraine mit modernen und energieeffizienten Technologien wiederhergestellt werden.

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Nach IRENA-Schätzungen aus der Vorkriegszeit verfügt die Ukraine über das Potenzial, mehr als 320 GW Wind- und 70 GW Solarenergie zu installieren. Dabei ist das Potenzial von Wind- und schwimmenden Parks in den Gewässern der Krim nicht berücksichtigt, welches nach Angaben der Weltbank mehr als 250 GW hinzufügen könnte. Demnach wird sich die potenzielle Gesamtkapazität von erneuerbaren Energiequellen in der Ukraine in 10 Jahren auf 415 GW installierter Leistung belaufen, und unter Berücksichtigung des potenziellen Projekts in den Gewässern der Krim geht es um mehr als 700 GW.

Mit Beginn der großangelegten Invasion befanden sich jedoch die ukrainischen Erzeuger von erneuerbaren Energien in einer schwierigen Situation. Erstens ist es aufgrund einer Änderung der Prioritäten der Haushaltsfinanzierung dazu gekommen, dass sich Schulden für die Zahlung des „grünen“ Tarifs anhäufen. Um diese Schulden zu begleichen, wurde eine vorübergehende Regelung eingeführt, wonach 80% der Einnahmen der Stromexporteure an das ukrainische staatliche Unternehmen „Garantierter Käufer“ übertragen werden.

Zweitens wurden viele Stromerzeugungsanlagen zerstört oder beschädigt, insbesondere in den südöstlichen Gebieten der Ukraine, beispielsweise im Gebiet Cherson, welches früher in der Produktion von erneuerbaren Energien führend war.

Zur Information: Die Zahlungshöhe des „grünen“ Tarifs beträgt für 2021 99%, für 2022 – 53,3%, für Januar-April 2023 (Stand 19.04.2023) – 64,8 %.

Die Schulden von Ukrenergo gegenüber dem staatlichen Unternehmen „Garantierter Käufer“ für EE-Dienstleistungen belaufen sich auf 16 Milliarden UAH (ca. 433.874.720,- USD).

Dies hat offensichtliche Gründe:

  • Mangel an Haushaltsmitteln;
  • Vorübergehendes Fehlen von grenzüberschreitenden Stromexportauktionen:

a) ein Teil der Gelder aus den Auktionen wurde für die Tilgung von Schulden gegenüber ukrainischen Produzenten von „grünem“ Strom verwendet;

b) Exporteure waren verpflichtet, 80% ihres Exportgewinns an den „Garantierten Käufer“ abzuführen.

In diesem Zusammenhang hat die ukrainische Regulierungsbehörde am 25. April 2023 die notwendigen Gesetzesänderungen zur Funktionierung der Ausgleichsgruppe „Garantierter Käufer“ verabschiedet, welche das Ein-/Ausstiegsverfahren für die Erzeuger im Rahmen des „grünen“ Tarifs regeln wird.

Unter anderem werden die „grünen“ Stromerzeugungsunternehmen das Recht haben, die Ausgleichsgruppe „Garantierter Käufer“ vorübergehend zu verlassen und in den freien Markt einzutreten.

3. Aktuelle Situation mit Exporten und Importen

Exporte

Die Stromexporte wurden bis zum 11. April 2023 eingestellt, dann nahm die Ukraine die Stromexporte wieder auf, zu diesem Zeitpunkt nur nach Polen und Moldawien. Gleichzeitig kündigten sowohl die ukrainische Seite als auch die EU an, dass die Exportmöglichkeiten weiterhin ausgebaut werden.

Der Export in die Slowakei begann am 17. April 2023. Einige Tage später wurde er jedoch auf Wunsch der slowakischen Seite gestoppt. Diese wenigen Exporttage zeigten Folgendes:

  • es gab keine kritischen Probleme mit der Verbindung oder Stabilität des Systems.
  • es ist notwendig, die Vorschriften der EU-Gesetzgebung zu übernehmen, welche unter anderem die

Durchführung von gleichzeitigen bilateralen Auktionen ermöglichen.

Ende April 2023 fand ein gemeinsames Treffen statt, an welchem Vertreter der Europäischen Kommission, der Energiegemeinschaft, der slowakischen Regulierungsbehörde sowie ukrainische und slowakische Übertragungsnetzbetreiber teilnahmen. Die Teilnehmer an der Veranstaltung haben die Vereinbarung getroffen, dass sich die ukrainischen und slowakischen Übertragungsnetzbetreiber auf den durch die Nationale Energiegesellschaft „Ukrenergo“ ausgearbeiteten Exportvertrag einigen und ihn an die ukrainischen Regulierungsbehörde zur Genehmigung übergeben.

Am 28. April 2023 hat der Ausschuss des ukrainischen Parlaments (der Werchowna Rada der Ukraine) für Kraftstoff- und Energiekomplex den Gesetzesentwurf „Zur Gewährleistung der Integrität und Transparenz des Stromgroßhandelsmarktes“ (REMIT) unterstützt. Dieser Gesetzentwurf basiert auf EU-Empfehlungen zu Veränderungen im Strommarkt. Es regelt insbesondere das Verfahren zur Durchführung von gemeinsamen Auktionen sowie die Verlängerung der Gültigkeitsdauer von technischen Bedingungen sowie den Abschluss von Pre-PPA-Verträgen für ein Jahr usw. Es wird erwartet, dass dieser Gesetzentwurf durch das ukrainische Parlament in absehbarer Zeit verabschiedet wird.

Anfang Mai 2023 wurde ein Abkommen über das Verfahren zur Verteilung der Einnahmen aus der grenzüberschreitenden Übertragung zwischen den Betreibern der ukrainischen und slowakischen Gastransportsysteme unterzeichnet. Dieses Abkommen muss noch bestimmte Verfahrensschritte durchlaufen, bevor es in Kraft tritt, und danach können die Exporte in die Slowakei wieder aufgenommen werden. Danach dürfte die Wiederaufnahme der Exporte nach Rumänien eine rein technische Angelegenheit sein.

Daher ist kurzfristig mit einer allmählichen Wiederaufnahme der Exporte zu rechnen. Natürlich werden die Exporte sowohl durch politische Entscheidungen und Vereinbarungen als auch durch das Vorhandensein eines Stromüberschusses im ukrainischen Energiesystem beeinflusst (der sich je nach Intensität des Beschusses der Infrastruktur durch den Feind ändern kann).

Erwähnenswert ist auch, dass am 27. April 2023 der erste physische Stromfluss entlang der Stromübertragungsleitung Chmelnyzkyj Kernkraftwerk-Rjaschiw (Rzeszów, Polen) stattfand. Die Energieverbindung zwischen dem Chmelnyzkyj Kernkraftwerk und Rjaschiw war seit den 1990er Jahren unterbrochen. Die endgültige Inbetriebnahme der Stromübertragungsleitung ist für Ende Juni 2023 geplant.

Importe

Die Teilnehmer des Strommarktes warten darauf, dass die Nationale Kommission für die staatliche Regulierung auf den Gebieten des Energiesektors und der kommunalen Dienstleistungen (National Commission for State Regulation of Energy and Public Utilities, NERC) neue Tarife auf dem ukrainischen Strommarkt verabschiedet, was eine der EU-Anforderungen ist. Durch die Tariferhöhung können die Haushaltskosten für die Unterstützung von einzelnen Strommarktteilnehmern gesenkt, und die Marktteilnahme kann dadurch attraktiver werden. Wie die Hauptteilnehmer am Strommarkt meinen, werden die ukrainischen Stromerzeuger nicht imstande sein, sich ohne Tariferhöhung ordnungsgemäß auf die nächste Heizsaison vorzubereiten.

Derzeit werden Änderungen an den bestehenden Tarifen durch das NERC geprüft, welche die neuen Tarife in der Ukraine voraussichtlich genehmigen wird. Dass die aktuellen Tarife und Strommarktregeln geändert werden müssen, ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen:

1. Aktuelle Tarife sind wirtschaftlich unangemessen und stimmen mit dem Marktwert der Ware nicht überein. Die Differenz zwischen dem Marktwert und den Tarifen muss aus dem Staatshaushalt ausgeglichen werden. Derzeit sind jedoch keine Mittel aus dem Staatshaushalt dafür vorgesehen.

Die Genehmigung einer Reihe neuer Tarife durch das NERC wird es den Marktteilnehmern ermöglichen, zumindest verlustfrei zu agieren. Dies ist angesichts der Infrastrukturschäden besonders wichtig.

2. Die am Markt festgelegten maximalen Höchstpreise sind niedriger als die normalen Marktpreise in den Nachbarländern. Während beispielsweise in der Ukraine der Preis während der Spitzenlast etwa 100 EUR/MWh beträgt, liegt der Durchschnittspreis für die Basislast auf dem slowakischen Markt bei 102 EUR/MWh (und dies ohne Berücksichtigung der Kosten für grenzüberschreitenden Transport und Vertrieb).

Mit anderen Worten: In der aktuellen Situation ist der kommerzielle Stromimport nicht zweckmäßig (außer an einigen Tagen, an denen der Import kommerziell attraktiv ist, aber das ist eher eine Ausnahme).

Der Stromimport zum Ausgleich des Defizits der inländischen Produktion erfordert wiederum zusätzliche Finanzierung, welche entweder zu Lasten des Verbrauchers oder aus dem ukrainischen Staatshaushalt gedeckt wird.

Allerdings, wie oben erwähnt, ist es erforderlich, die Tarife und die Marktregeln zu ändern, so dass sich die Ukraine sowohl auf die Heizperiode vorbereiten als auch möglicherweise den Mangel an inländischer Produktion auf Kosten von Importen ausgleichen kann.

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