Agrarwirtschaft in der Ukraine: Perspektiven für ausländische Investoren
Einleitung
1. Investitionsbereiche zur Wiederbelebung des Agrarsektors
• Infrastruktur für die Lagerung von Produkten
• Wiederaufbau der Viehzucht
• Modernisierung der Gewächshauswirtschaft
• Gründung von Verarbeitungsbetrieben
• Nischenkulturen und ökologischer Landbau
• Erneuerung der landwirtschaftlichen Technik
• Beratungs- und Ingenieurdienstleistungen
• Logistik und Transport
• Wiederherstellung der Melioration und der Wasserressourcen
• Bewältigung der Folgen der Kampfhandlungen
2. Erwerb von Agrarvermögen in der Ukraine
• Festlegung der Strategie und der Suchkriterien
• Suche und Vorauswahl von Objekten
• Kontaktaufnahme mit den Eigentümern
• Verhandlungen und Vertragsgestaltung
• Rechtliche Prüfung
• Vorbereitung vor dem Verkauf
• Vorbereitung zum Vertragsabschluss
• Abschluss der Transaktion
• Übernahme der tatsächlichen Kontrolle
Obwohl die ukrainische Agrarwirtschaft durch den Krieg enorme Verluste erlitten hat, bleibt sie ein wichtiger Wirtschaftssektor und verfügt über ein erhebliches Investitionspotenzial.
1. Investitionsbereiche zur Wiederbelebung des Agrarsektors
Infrastruktur für die Lagerung von Produkten
Zu den vielversprechenden Bereichen zählen der groß angelegte Bau und die Sanierung von Getreidesilos und Getreidelagern sowie von Lagerhäusern für Gemüse, Obst und Beeren. Hinzu kommt die Herstellung und Lieferung von Ausrüstung (Getreidetrockner, Förderbänder, Klimaanlagen usw.) und Materialien (z. B. Polyethylenfolien) für die Lagerung von Ernteerträgen.
Wiederaufbau der Viehzucht
Ein weiterer wichtiger Bereich für Investoren ist der Bau und die Renovierung moderner landwirtschaftlicher Betriebe (vor allem Molkereien) sowie deren Ausstattung mit Technologien für die Haltung und Fütterung von Vieh, Belüftungssystemen, Melkgeräten, Milchkühlschränken usw. Außerdem ist eine Erneuerung des Zuchtbestands erforderlich, wofür hochwertiges genetisches Material für die Reproduktion der Herde geliefert werden muss.
Modernisierung der Gewächshauswirtschaft
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Sanierung bestehender und dem Bau neuer Gewächshäuser – sowohl Glas- als auch Folientunnelgewächshäuser – unter Einsatz energiesparender Technologien. Dazu gehört die Installation moderner Systeme zur Heizung, Tropfbewässerung, Beleuchtung und Mikroklima-Automatisierung, die die Abhängigkeit von Gas verringern. Durch solche Investitionen kann die ganzjährige Produktion von Gemüse und Kräutern ausgeweitet, Verluste durch zerstörte Betriebe ausgeglichen und der Energieverbrauch gesenkt werden.
Gründung von Verarbeitungsbetrieben
In diesem Bereich sind Verarbeitungsbetriebe für Obst und Gemüse (Säfte, Pürees, Konzentrate), Schnellgefrieranlagen für Beeren und Gartenbauprodukte sowie Verarbeitungsbetriebe für technische Hanfpflanzen und Produktionsstätten für tiefgekühlte und konservierte Fleisch- und Milchprodukte vielversprechend.
Nischenkulturen und ökologischer Landbau
Die Ukraine bietet gute Bedingungen für den Anbau von Beeren (Blaubeeren, Himbeeren, Brombeeren) sowie von Heilpflanzen und Kräutern. Außerdem erlaubt die ukrainische Gesetzgebung den Anbau und die Verarbeitung von medizinischem Cannabis. Investitionen in Nischenkulturen und deren Weiterverarbeitung (Trocknung, Herstellung von Extrakten, Tees und medizinischen Ölen) können sehr rentabel sein. Ebenso vielversprechend ist der ökologische Landbau, also die Einführung umweltfreundlicher Anbaumethoden und die Lieferung von Bio-Saatgut.
Erneuerung der landwirtschaftlichen Technik
Ein vielversprechender Bereich ist die Lieferung von Landmaschinen und Ersatzteilen – auch auf Leasingbasis. Dies bietet Investoren die Möglichkeit, in den Markt für Landmaschinen einzusteigen oder eine lokale Produktion und Montage von Aggregaten zu organisieren.
Beratungs- und Ingenieurdienstleistungen
Zu den gefragten Bereichen zählen agrartechnologische Beratung und Schulungen (neue Sorten, Präzisionslandwirtschaft usw.), Managementberatung (Geschäftsplanung, Marketing), Rechtsdienstleistungen sowie Ingenieurleistungen für die Unternehmensplanung. Aufgrund der Integration der Ukraine in die europäischen Märkte werden insbesondere Dienstleistungen zur Zertifizierung von Produkten gemäß den Anforderungen der EU gefragt sein.
Logistik und Transport
Derzeit stehen der Bau von Logistikzentren im Westen und in der Mitte des Landes sowie der Ausbau der Kapazitäten für den Getreideexport per Eisenbahn und Straße im Fokus. Vielversprechend sind auch Unternehmen, die spezialisierte Transportdienstleistungen anbieten. Dazu zählen Kühltransporte sowie der Transport von flüssigen und schüttfähigen Lebensmitteln mit Tankwagen, Milchwagen, Getreidetransportern usw.
Wiederherstellung der Melioration und der Wasserressourcen
Eine besondere Nische sind Investitionen in den Wiederaufbau von Bewässerungs- und Wasserversorgungssystemen. Durch die Sprengung des Wasserkraftwerks in Kakhovka wurden die bewässerten Flächen im Süden der Ukraine schwer getroffen. In den nicht mehr besetzte, d.h. befreiten Gebieten sind Projekte zur Reinigung verschmutzter Gewässer und Wasserentnahmestellen sowie zum Bau neuer Kläranlagen erforderlich. Auch die Meliorationsnetze müssen umfassend modernisiert werden: Zerstörte Bewässerungskanäle müssen geräumt und Pumpstationen sowie moderne Bewässerungssysteme für Felder installiert werden. Solche Infrastrukturprojekte können vom Staat und von internationalen Gebern unterstützt werden, wodurch sich Möglichkeiten für öffentlich-private Partnerschaften eröffnen.
Bewältigung der Folgen der Kampfhandlungen
Ein weiterer besonders wichtiger Bereich ist die Minenräumung auf landwirtschaftlichen Flächen, die per Hand erfolgen muss. Ohne diese ist eine Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Produktion nicht möglich. Neben der Minenräumung sind auch andere damit verbundene Dienstleistungen gefragt, wie der Abbau von Befestigungsanlagen, die Beseitigung von Trümmern und die Räumung zerstörter Bauernhöfe. Investoren können sich sowohl mit Technologien, wie Spezialtechnik für die Minenräumung oder Drohnen für die Erkundung, als auch mit Dienstleistungen beteiligen. Beispielsweise können sie Unternehmen für die Entsorgung von Munition oder die Verwertung von Bauschutt gründen.
2. Erwerb von Agrarvermögen in der Ukraine
Der Großteil der landwirtschaftlichen Flächen in der Ukraine befindet sich in Privateigentum und wird in kleinen Parzellen an Agrarunternehmen verpachtet. Für einen ausländischen Investor ist der Kauf eines bestehenden Agrarunternehmens mit einem gut organisierten Landbestand daher der optimale Weg. Ein Neuanfang ist dagegen nur in Branchen sinnvoll, die weniger von Land abhängig sind, beispielsweise beim Bau eines Getreidesilos oder eines Viehzuchtkomplexes. Im Pflanzenbau hingegen gewährleistet der Kauf eines lokalen Betreibers den Zugang zu zusammenhängendem Landbesitz und einer fertigen Infrastruktur.
Ausländische Investoren können Unternehmensanteile ukrainischer Gesellschaften, die Land pachten, frei erwerben. Derzeit gilt jedoch eine Einschränkung: Bis zur Durchführung eines speziellen Referendums ist es ausländischen Gesellschaften untersagt, Agrargesellschaften zu erwerben, die landwirtschaftliche Flächen als Eigentum besitzen. Das heißt, Ausländer können vorerst nur in Unternehmen mit Landbank auf Pachtbasis investieren (was jedoch auf die überwiegende Mehrheit der Betriebe zutrifft) oder in damit verbundene Vermögenswerte (Silos, Verarbeitungsbetriebe usw.). Diese gesetzlichen Besonderheiten sollten bei der Auswahl des Zielvermögenswerts und der Strukturierung der Transaktion berücksichtigt werden.
Der Erwerb eines Agrarunternehmens in der Ukraine folgt einer Standardstruktur für Fusions- und Übernahmegeschäfte, erfordert jedoch die Berücksichtigung lokaler Besonderheiten. Das typische Verfahren besteht aus mehreren Schritten, auf die im Folgenden eingegangen wird.
Festlegung der Strategie und der Suchkriterien
Zunächst legt der Investor sein Geschäftsmodell fest, d. h. er entscheidet über die Art der Tätigkeit (Pflanzenbau, Tierhaltung, Lagerung, Verarbeitung), die Zielgrößen, das Investitionskapital, die gewünschte Fläche, die Infrastruktur und die Kontrollanforderungen (Erwerb von 100 % des Unternehmens oder einer Beteiligung). In dieser Phase werden auch allgemeine rechtliche Beschränkungen geprüft, wie beispielsweise das bereits erwähnte Verbot für Ausländer, Unternehmen zu erwerben, die landwirtschaftliche Flächen im Eigentum haben. Nach Festlegung der Strategie legt der Investor klare Kriterien für die Suche nach einem Zielunternehmen fest, beispielsweise die gewünschte Lage (Böden, Klima, Logistik), die Größe der Landbank, das Vorhandensein von Silos und Technik sowie Finanzkennzahlen. Die Kriterien sollten nicht zu eng gefasst sein, sondern nur die wichtigsten Parameter herausarbeiten, anhand derer sich die potenziellen Objekte realistisch filtern lassen.
Suche und Vorauswahl von Objekten
In der Regel erfolgt die Suche nach Agrarunternehmen, die den Kriterien entsprechen, in zwei Schritten. Zunächst wird auf der Grundlage öffentlich zugänglicher Daten eine umfassende Liste erstellt. Dazu werden Rankings und Register von Agrarunternehmen, Branchenpublikationen, Informationen von Agrarverbänden sowie Expertenkontakte herangezogen. Mit dieser Methode lassen sich vor allem mittlere und große Betriebe erfassen, über die öffentliche Informationen vorliegen. Da viele kleine landwirtschaftliche Betriebe (bis zu ~5.000 ha) nicht öffentlich dargestellt werden, werden Informationen über sie bei lokalen Beratern, Bezirksverwaltungen, Banken usw. eingeholt.
Kontaktaufnahme mit den Eigentümern
In dieser Phase kontaktiert der Investor die Eigentümer der ausgewählten ukrainischen Agrarunternehmen vertraulich, um herauszufinden, ob sie einen Verkauf in Betracht ziehen. Bei gegenseitigem Interesse tauschen die Parteien grundlegende Informationen und Absichten aus. In der Regel wird eine Absichtserklärung (Letter of Intent) unterzeichnet, die den Rahmen der Verhandlungen festlegt, ohne rechtliche Verpflichtungen zu begründen. Das Hauptziel dieser Phase ist es, sich über die grundsätzliche Möglichkeit einer Vereinbarung zu einigen und detaillierte Verhandlungen aufzunehmen.
Verhandlungen und Vertragsgestaltung
Wenn ein konkretes ukrainisches Agrarunternehmen als Ziel ausgewählt wurde, beginnen die Verhandlungen über den Preis, die Zahlungsbedingungen, die Form des Geschäfts (zum Beispiel der Kauf von Anteilen am Stammkapital oder am Vermögenskomplex) sowie über die Durchführung einer Due-Diligence-Prüfung. Bei den Verhandlungen sollte der ausländische Investor die Art des Zielunternehmens berücksichtigen. In der Ukraine gibt es professionelle mittlere und große Agrarunternehmen mit erfahrenem Management und transparenter Buchführung. Der Erwerb dieser Unternehmen ist nachvollziehbarer und die Verhandlungen verlaufen auf geschäftlicher Basis. Gleichzeitig gibt es viele landwirtschaftliche Betriebe, die als „Familienunternehmen” alter Prägung geführt werden. Deren Eigentümer misstrauen komplexen M&A-Instrumenten, bevorzugen Barzahlungen und beziehen zahlreiche Verwandte als Miteigentümer ein. In solchen Fällen sind die Verhandlungen wesentlich schwieriger. Es ist daher ratsam, einen ukrainischen Berater oder Partner im Team zu haben, der die lokalen Besonderheiten kennt und das Vertrauen zwischen den Parteien aufbauen kann.Das Ergebnis erfolgreicher Verhandlungen sollte ein Absichtsprotokoll (Term Sheet) sein, ein Dokument, das die erzielten Vereinbarungen festhält und das Verpflichtungen der Parteien enthalten kann. Darin sollten die wichtigsten Bedingungen festgehalten werden: die Parameter des erworbenen Vermögenswerts und der vereinbarte Preis, die Vorgehensweise im Falle von Unstimmigkeiten, die bei der Due Diligence aufgedeckt werden (Preisanpassung, Verpflichtung des Verkäufers zur Behebung der Probleme usw.), die Zahlungsstruktur und der Zahlungsplan (einschließlich der Möglichkeit, einen Teil des Preises nach einer bestimmten Frist als Garantie zu zahlen) sowie eine Vertraulichkeitsklausel und die Gründe für den Rücktritt vom Vertrag.
Rechtliche Prüfung (Due Diligence)
Nach Unterzeichnung der Absichtserklärung führt der Investor in der Regel eine umfassende Due-Diligence-Prüfung des ausgewählten Agrarunternehmens durch, die die Bereiche Produktion, Finanzen und Recht umfasst. Dabei werden unter anderem die Landpachtverträge geprüft, um festzustellen, ob sie korrekt ausgefertigt sind, ob die vom Verkäufer angegebenen Pachtfristen und Gültigkeitsbedingungen entsprechen und ob die gepachteten Grundstücke in Produktionsgebieten liegen. Außerdem wird der Zustand der Technik geprüft, es wird festgestellt, ob Schulden oder Rechtsstreitigkeiten vorliegen und ob die Umweltnormen eingehalten werden. Bei Bedarf werden zusätzliche spezialisierte Prüfungen durchgeführt, beispielsweise eine Prüfung des Rufes der Eigentümer, eine ökologische Untersuchung der Böden oder eine Überprüfung der Geschichte des bisherigen Pestizideinsatzes. Das Ziel der rechtlichen Prüfung ist es, alle potenziellen Risiken und versteckten Probleme vor dem Kauf aufzudecken, um entweder deren Beseitigung zu verlangen oder sie im Preis zu berücksichtigen.
Vorbereitung vor dem Verkauf
In der ukrainischen Realität ist diese Phase oft notwendig. Vor Abschluss der Transaktion kann der Verkäufer nach Vereinbarung mit dem Käufer die Unternehmensstruktur und die Unternehmensdokumente in Ordnung bringen. Beispielsweise kann er die Satzung an die aktuellen gesetzlichen Anforderungen anpassen, „toxische” oder inaktive Miteigentümer aus der Liste der Gründer streichen, Schulden umstrukturieren und die erforderlichen Genehmigungen einholen (z. B. die Zustimmung des Antimonopolkomitees zu dem geplanten Zusammenschluss). All diese Maßnahmen zielen darauf ab, dass der Investor einen „sauberen” und für ihn nachvollziehbaren Vermögenswert erhält, der einen transparenten Eigentumsübergang ermöglicht.
Vorbereitung zum Vertragsabschluss
In dieser Phase bereiten die Parteien alle erforderlichen Unterlagen für die Übertragung der Rechte vor. Dazu gehören Kaufverträge für Anteile oder Vermögenswerte, Unternehmensbeschlüsse der Gesellschafter, Vollmachten und Mitteilungen an Gläubiger. Außerdem werden weitere vorbereitende Maßnahmen getroffen. So sammelt der Käufer die erforderlichen Mittel (und bezieht bei Bedarf Fremdkapital ein), und die Parteien eröffnen separate Konten für die Abrechnungen. In den Vertragstexten müssen alle zuvor vereinbarten Bedingungen enthalten sein.
Abschluss der Transaktion
Der Abschluss des Erwerbs eines Agrarunternehmens erfolgt formal in drei Schritten:
- Unterzeichnung der vorbereiteten Verträge durch die Parteien,
- Durchführung der gegenseitigen Abrechnungen (Zahlung der Gelder gemäß den Vertragsbedingungen), und
- Staatliche Registrierung der Änderungen im staatlichen Register in Bezug auf neue Eigentümer.
Zu beachten ist, dass das Kontrollrecht über das ukrainische Unternehmen nicht zum Zeitpunkt der Zahlung, sondern erst nach der staatlichen Registrierung der neuen Eigentümer übergeht. Da diese Registrierung einige Tage bis Wochen dauern kann, wird oft ein Teil der Zahlung (die Pfandsumme) bis zum Abschluss der Registrierung einbehalten, um den Käufer zu schützen. Erst nach der Aktualisierung der Einträge im Register gilt der Vertrag als endgültig abgeschlossen.
Übernahme der tatsächlichen Kontrolle
Der Kauf eines Agrarunternehmens ist nicht mit der rechtlichen Abwicklung abgeschlossen – der Investor muss das erworbene Unternehmen in seine Geschäftsstruktur integrieren. In der Regel werden umgehend Änderungen in der Geschäftsführung und bei den Führungskräften vorgenommen, eine Personalprüfung durchgeführt, Verträge mit Lieferanten und Kunden überprüft sowie Produktionstechnologien bewertet. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinden und Landvermietern gewidmet werden. Der neue Eigentümer führt Gespräche, erläutert seine Pläne und behält möglicherweise einige der lokalen Fachkräfte im Unternehmen, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. All dies minimiert soziale Spannungen und sorgt für Kontinuität im Produktionsprozess. Bei richtig aufgebauten Beziehungen zu den Gemeinden kann der Investor nicht nur den vorhandenen Landbestand erhalten, sondern ihn in Zukunft auch vergrößern, indem er das Vorrecht auf die Pacht neuer Grundstücke erhält.