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9. Februar 2025

Steuerstreitigkeiten in der Ukraine unter Kriegsbedingungen

Einleitung
1. Nachweis der Unmöglichkeit der Erfüllung der Steuerpflichten
2. Aberkennung des Status als MwSt.-Zahler
3. Haftung für die Verletzung von Devisenvorschriften

 

Nach dem Beginn der großangelegten russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 wurden eine Reihe von Steuervergünstigungen und -erleichterungen für ukrainische Unternehmen eingeführt.
Seit 2023 ist jedoch ein Trend zur schrittweisen Überarbeitung und Abschaffung dieser Vergünstigungen zu beobachten.

So wurden beispielsweise die Beschränkungen für Steuerprüfungen im August 2023 schrittweise aufgehoben.

Diese Situation hat zu einer Zunahme von Steuerstreitigkeiten geführt. Eine Analyse der Gerichtspraxis in diesen Streitfällen ermöglicht es jedoch, Steuervergehen zu verhindern und die Interessen der Unternehmen vor ungerechtfertigten Forderungen der Steuerbehörden zu schützen.

1. Nachweis der Unmöglichkeit der Erfüllung der Steuerpflichten

Im Jahre 2022 wurde durch Änderungen des ukrainischen Steuergesetzbuches die Möglichkeit geschaffen, einen Steuerpflichtigen von der Haftung für eine Reihe von Ordnungswidrigkeiten zu befreien, wenn er einer steuerlichen Verpflichtung nicht fristgerecht nachkommen kann. Dazu gehören:

  • die Einhaltung der Fristen für die Zahlung von Steuern und Gebühren;
  • die Einreichung von Erklärungen und Unterlagen;
  • die Eintragung von Steuer- oder Gebührenrechnungen in die entsprechenden Register;
  • Korrekturberechnungen usw.

Im Juli 2022 hat das Finanzministerium der Ukraine das Verfahren zum Nachweis der Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Erfüllung der Steuerpflichten geregelt. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde auch eine Liste von Dokumenten erstellt, die zum Nachweis der Unmöglichkeit vorzulegen sind.

Dieses Verfahren betraf fast alle Kategorien von Steuerstreitigkeiten.

Infolgedessen hat sich eine gerichtliche Praxis der Anfechtung von Entscheidungen der Steuerbehörden über die Möglichkeit der Erfüllung von Steuerpflichten herausgebildet.

Diese Praxis ist jedoch nicht immer eindeutig und geht nicht immer zu Gunsten des Steuerzahlers aus. Darüber hinaus gibt es eine zunehmende Tendenz der Gerichte, die Position der Steuerbehörden zu unterstützen.

So entschied der Oberste Gerichtshof der Ukraine im Jahre 2023 eindeutig, dass die Umstände der Unmöglichkeit tatsächlich und objektiv und nicht formal sein müssen, um von der Steuerpflicht befreit zu werden.

In einem Fall legte der Steuerpflichtige eine umfangreiche Dokumentation vor, um nachzuweisen, dass er nicht in der Lage war, seinen steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen. Darunter befanden sich Nachweise über die Zerstörung von Produktionsanlagen, Strafanzeigen wegen der Zerstörung von Firmeneigentum, Mitteilungen von lokalen Behörden und Selbstverwaltungsorganen etc.

Das Gericht hielt diese Umstände jedoch nicht für ausreichend. Der Grund dafür war das Fehlen von Beweisen für eine Geschäftstätigkeit am Ort der Registrierung und Lagerung der zerstörten Ausrüstung, die Unzulänglichkeit der vorgelegten Dokumente zur Bestätigung des Verlusts der Ausrüstung oder der Finanzunterlagen eben aufgrund der Kampfhandlungen.

Darüber hinaus konnte der Steuerpflichtige nicht nachweisen, dass er nicht über ausreichende Mittel verfügte, um die Steuern zu zahlen. Zudem hatte das Unternehmen im Jahre 2022 Steuerrechnungen eingereicht, was das Gericht als Beweis dafür ansah, dass das Unternehmen in der Lage war, seinen steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen.

Derartige Tendenzen in gerichtlichen Auseinandersetzungen sollten bei der Entscheidung über die Abgabe einer Erklärung der Unmöglichkeit, den steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen, berücksichtigt werden. Dies erfordert:

  • eine sorgfältige Analyse der tatsächlichen Umstände und ein Vergleich mit den in den Vorschriften genannten Gründen. Dabei ist zu beachten, dass nicht alle Umstände, die einen Steuerpflichtigen tatsächlich daran hindern, seinen steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen, als solche Gründe angesehen werden können;
  • nach der Feststellung solcher Umstände muss eindeutig geklärt werden, ob sie durch die in den einschlägigen Rechtsvorschriften genannten Dokumente belegt werden können. Dies wird in erster Linie vom Gericht geprüft;
  • eine sorgfältige Prüfung der Begründung des Kausalzusammenhangs zwischen den Umständen, die das Unternehmen als Grund für die Unmöglichkeit der Erfüllung der steuerlichen Pflichten anführt, und der tatsächlichen Unmöglichkeit. Die bloße Tatsache, dass eine Stadt bombardiert wurde, stellt beispielsweise keinen solchen Grund dar, wenn keine Produktionsanlagen oder Geschäftsunterlagen vernichtet wurden.

2. Aberkennung des Status als MwSt.-Zahler

Nach ukrainischem Recht kann ein MwSt.-Zahler, der in 12 aufeinanderfolgenden Steuermonaten keine MwSt.-Erklärungen einreicht, seinen Status als MwSt.-Zahler verlieren.

Unter Kriegsrecht kann dies aufgrund der objektiven Unmöglichkeit für den Steuerpflichtigen, seinen Verpflichtungen nachzukommen, geschehen, z.B. durch Bombardierung, Zerstörung von Eigentum und Unterlagen, Besetzung des Gebiets, in dem das Unternehmen oder seine Anlagen liegen, oder Einberufung des Geschäftsführers um Wehrdienst.

Diese Situation kommt recht häufig vor und stellt eine eigene Kategorie von Steuerstreitigkeiten vor Gerichten dar.

Der Oberste Gerichtshof der Ukraine hat die Auffassung vertreten, dass ein Steuerzahler aktiv Schritte unternehmen muss, um bei den Steuerbehörden einen Antrag zu stellen und Beweise für die Unmöglichkeit der Erfüllung der Steuerpflichten vorzulegen. Das Gericht stellte fest, dass die Änderungen der ukrainischen Steuergesetzgebung es den Steuerzahlern ermöglichen, unter bestimmten Umständen von der Haftung für die verspätete Erfüllung ihrer Steuerpflichten befreit zu werden. Gleichzeitig verpflichtet das Gesetz den Steuerzahler, eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen – einen entsprechenden Antrag bei der Aufsichtsbehörde zu stellen. Wenn er dies nicht bewirkt, kann er sich nicht auf die Befreiung von der Steuerpflicht berufen.

Darüber hinaus kann sich ein Steuerpflichtiger, wie aus der Entscheidung des Gerichts hervorgeht, nicht auf das Fehlen eines Bevollmächtigten berufen, wenn dieser gleichzeitig Steuerrechnungen registriert. Das Gericht nahm dies zur Kenntnis und stellte fest, dass das Unternehmen tatsächlich die Möglichkeit hatte, eine Mehrwertsteuererklärung abzugeben, da es in der Lage war, Steuerrechnungen zu registrieren. Zumindest hätte es die Steuerbehörden darüber informieren müssen, dass es dieser Verpflichtung nicht nachkommen konnte.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Gerichte bei der Prüfung der Umstände der Unmöglichkeit der Erfüllung der steuerlichen Pflichten einen umfassenden Ansatz verfolgen. Um ihre Interessen wirksam zu schützen, müssen die Unternehmen nicht nur die Umstände der Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten feststellen. Es muss auch festgestellt werden, ob das Unternehmen tatsächliche Möglichkeiten hatte, die es nicht genutzt hat. Das Nichtvorhandensein solcher Möglichkeiten muss durch Unterlagen gemäß der gesetzlich festgelegten Liste nachgewiesen werden.

3. Haftung für die Verletzung von Devisenvorschriften

Diese Kategorie von Rechtsstreitigkeiten ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich die Position der Gerichte selbst innerhalb eines Jahres dramatisch ändern kann. Bei der Formulierung einer Rechtsposition zum Schutz der Unternehmensinteressen oder bei der Entscheidung über konkrete Maßnahmen ist es notwendig, die Informationen über die Position der Gerichte buchstäblich zum Zeitpunkt der Managemententscheidungen zu aktualisieren.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Verhängung einer Strafe wegen Nichteinhaltung der Zahlungsfrist im Bereich der Außenwirtschaftstätigkeit unter Quarantäne.

Im Februar 2024 entschied der Oberste Gerichtshof, dass die im Steuergesetzbuch der Ukraine vorgesehene Strafe nach dem Verfahren des Gesetzes der Ukraine über die Regelung von Devisentransaktionen verhängt wird. Gleichzeitig wird während der Quarantänezeit keine Strafe für die Nichteinhaltung der Zahlungsfrist in Fremdwährung verhängt. Die für diesen Zeitraum aufgelaufenen, aber nicht gezahlten Strafen werden gemäß den einschlägigen Bestimmungen des Steuergesetzbuches der Ukraine abgeschrieben.

Im Juli 2024 änderte der Oberste Gerichtshof jedoch seine Auffassung.

Das Unternehmen reichte eine Klage ein, um die Strafe aufzuheben, die ihm wegen Nichteinhaltung der Zahlungsfristen im Außenhandel auferlegt worden war.

Bei der Prüfung des Falles stellte der Oberste Gerichtshof fest, dass das Gesetz der Ukraine zur Regelung von Devisentransaktionen in der Ukraine ein Sondergesetz ist. Als sog. „lex specialis“ legt es den rechtlichen Rahmen für Devisentransaktionen fest und bestimmt die Haftung für Verstöße gegen die Devisenvorschriften.

Dieses Gesetz zur Regelung von Devisentransaktionen regelt nicht das Verfahren der Entscheidung über die Verhängung einer Strafe als Sanktion für die Nichteinhaltung von Zahlungsfristen bei Zahlungen in ausländischer Währung. Dieses Verfahren ist im Steuergesetzbuch der Ukraine geregelt. Nach Ansicht des Gerichts bedeutet dies jedoch nicht, dass alle Bestimmungen des Steuergesetzbuches der Ukraine auf Rechtsverhältnisse im Bereich von Devisentransaktionen anwendbar sind. Dementsprechend kam das Gericht zu dem Schluss, dass bei der Berechnung von Strafen für verspätete Zahlungen in Fremdwährung die Bestimmungen des Gesetzes zur Regelung von Devisentransaktionen Anwendung finden.

Die in diesem Gesetz vorgesehene Strafe für die Nichteinhaltung der Fristen für die Abwicklung von Export-Import-Geschäften während der Quarantänezeit wird wiederum auf einer allgemeinen Grundlage berechnet. Eine Befreiung von der Zahlung dieser Strafen ist nach dem Steuergesetzbuch der Ukraine nicht möglich.

Darüber hinaus hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass die Verhängung des Kriegsrechts in der Ukraine nicht als höhere Gewalt angesehen werden kann, wenn ein nicht ansässiger Vertragspartner (sog. Nicht-Resident) die Gelder für die im Rahmen von Außenhandelsverträgen gelieferten Waren nicht auf die Konten eines ukrainischen Unternehmens überweist.

Die oben genannten Trends deuten auf eine zunehmende Kontrolle durch die Steuerbehörden hin, und dieser Trend wird sich voraussichtlich bis 2025 fortsetzen.

Unter diesen Umständen sollten Unternehmen ihre Interessen aktiv schützen, indem sie nicht nur auf die Maßnahmen der Steuerbehörden reagieren. Es ist notwendig, das eigene Vorgehen proaktiv zu planen und dabei auch die Aussichten auf gerichtlichen Schutz der eigenen Interessen zu berücksichtigen.

Mit der richtigen Vorbereitung der Argumente und Beweise sowie der Berücksichtigung der aktuellen Gerichtspraxis in der täglichen Arbeit lässt sich eine solche Verteidigung effektiv gestalten.

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