- Home
- /
- Nachrichten
- /
- Lieferverträge während des Krieges in der Ukraine
Lieferverträge während des Krieges in der Ukraine
Einleitung
1. Überprüfung des Vertragspartners
2. Sanktionsrisiken
3. Verfahren zum Abschluss von Lieferverträgen
4. Einhaltung der Regeln des Dokumentenverkehrs
5. Gesetzliche Einschränkungen
6. Höhere Gewalt
Der Kriegszustand, der infolge der großangelegten Invasion der russischen föderation in die Ukraine eingeführt wurde, bringt wesentliche Änderungen beim Abschluss und bei der Erfüllung von Lieferverträgen mit sich. Neben allen allgemeinen Fragen, die während des Krieges an ihrer Relevanz nicht verlieren, müssen auch Besonderheiten der rechtlichen Regelung bei der Lieferung in Kriegszeiten berücksichtigt werden.
1. Überprüfung des Vertragspartners
Die Überprüfung des Vertragspartners war schon immer ein wichtiger Bestandteil beim Aufbau von Vertragsverhältnissen. Aus rechtlicher Sicht umfasst eine solche Überprüfung zunächst die Bestätigung der Rechtspersönlichkeit des Vertragspartners und der Befugnisse seiner Vertreter.
Die Bestätigung der Rechtspersönlichkeit des Vertragspartners erfolgt in der Regel auf der Grundlage von Dokumenten, die nachweisen, dass er ordnungsgemäß registriert ist und dass es keine Beschränkungen gibt, die den Abschluss und die Erfüllung des Liefervertrags beeinträchtigen können. Als grundlegende Dokumente, auf deren Grundlage die Überprüfung durchgeführt werden kann, gelten in diesem Fall die Registrierungsdokumente des Vertragspartners (Auszug aus dem staatlichen Register, Auszug aus dem Handels- oder Gerichtsregister je nach der Gerichtsbarkeit, in welcher der Vertragspartner registriert ist) und seine Gründungsdokumente (die Satzung, der Gesellschaftsvertrag usw.).
Die Überprüfung der Befugnisse von Vertretern des Vertragspartners erfolgt auf der Grundlage der in den Registrierungs- und Gründungsdokumenten enthaltenen Informationen. Darüber hinaus ist es notwendig, einzelne Dokumente zu prüfen, die die Befugnisse der Vertreter individuell nachweisen. Die Registrierungsdokumente ermöglichen es, die in den Registrierungsdaten eingetragene bevollmächtigte Person des Vertragspartners zu identifizieren (z.B. den Geschäftsführer der Gesellschaft, der gemäß den Registrierungsdokumenten vertretungsberechtigt ist). In den Gründungsdokumenten wird der Umfang der dem Vertreter des Vertragspartners eingeräumten Befugnisse und das Verfahren zu ihrer Erteilung sowie Einschränkungen und Bedingungen ihrer Ausübung festgelegt (der Geschäftsführer des Vertragspartners kann beispielsweise nur das Recht haben, Verträge von bis zu 1 Million Euro ohne Zustimmung der Gesellschafter/Aktionäre abzuschließen, ausgenommen Verträge über den Verkauf von Immobilien und Wertpapieren).
Dokumente, die die Befugnisse der Vertreter individuell nachweisen, verknüpfen die in den Gründungsdokumenten definierten Befugnisse mit einer bestimmten Person (z.B. der Beschluss der Gesellschafter/der Aktionäre über die Bestellung des Geschäftsführers, die Anordnung über die Bestellung des Geschäftsführers, der Beschluss über die Erteilung von speziellen Befugnissen, die gesellschaftsrechtlich eingeschränkt sind, eine Vollmacht). Es ist auch erforderlich, den Vertreter zu identifizieren (z.B. anhand seines Passes).
Es muss berücksichtigt werden, dass ein Liefervertrag in der Regel ein komplexes Dokument darstellt, bei dessen Erfüllung weitere Dokumente unterzeichnet werden (Spezifikationen, Rechnungen, Änderungs- und Ergänzungsvereinbarungen zum Liefervertrag). Ein Vertreter des Vertragspartners muss nicht nur befugt sein, einen bestimmten Vertrag zu unterzeichnen, sondern auch andere Dokumente im Zusammenhang mit dessen Erfüllung zu unterzeichnen. Es ist auch wichtig zu überwachen, dass solche Dokumente durch bevollmächtigte Personen unterzeichnet werden (in der Praxis wird beispielsweise ein Vertrag häufig vom Geschäftsführer unterzeichnet, wobei Rechnungen und Spezifikationen von Vertriebsmitarbeitern unterzeichnet werden). Solche Fehler werden meistens beim Abschluss von Musterabkommen im Rahmen von Generallieferverträgen oder auf der Grundlage von Musterformularen begangen. In solchen Fällen können Verträge in der Tat durch Mitarbeiter abgeschlossen werden, deren Befugnisse ordnungsgemäß nicht nachgewiesen wurden.
Beim Abschluss von Lieferverträgen unter Abwesenden und bei der Ausfertigung von Dokumenten bei deren Abwicklung sollte ein besonderes Augenmerk auf Kommunikationsmittel gelegt werden. Zur Bestätigung der Befugnisse von Vertretern des Vertragspartners muss jeder Kommunikationskanal (E-Mail, Fax usw.) dem bevollmächtigten Vertreter des Vertragspartners eindeutig zugeordnet werden. Es muss vertraglich vorgesehen sein, dass der Vertragspartner allein dafür haftbar ist, dass ein solcher Kanal für den Austausch von Dokumenten nur von bevollmächtigten Personen verwendet wird.
2. Sanktionsrisiken
Zu den Besonderheiten der Prüfung des Vertragspartners gehört unter gegenwärtigen Umständen auch die Notwendigkeit, seine Zugehörigkeit zu sanktionierten Personen festzustellen. Die weltweite Sanktionspolitik, die im Zusammenhang mit der Invasion der russischen föderation in die Ukraine verfolgt wird, umfasst eine Vielzahl von Unternehmen und Einzelpersonen. Durch unvorsichtige Beziehungen zu einem sanktionierten Vertragspartner kann nicht nur die Vertragsabwicklung gefährdet, sondern auch die Reputation erheblich bedroht werden.
Basierend auf den vom Vertragspartner erhaltenen Registrierungsdaten kann dieser anhand von internationalen und nationalen Sanktions- und schwarzen Listen oder Datenbanken überprüft werden, z. B.:
- EU-Sanktionsliste
- The UK sanctions list
- Sanktionsliste, geführt vom „Office of Foreign Assets Control” (USA)
- Consolidated Canadian Autonomous Sanctions List
- Sanktionsliste, geführt vom schweizerischen Staatssekretariat für Wirtschaft SECO
Neben den Listen von sanktionierten Personen gibt es auch gesetzliche Änderungen, die während des Krieges verabschiedet wurden und den Umgang mit russischen Staatsbürgern oder ihnen nahestehenden Personen beschränken. Beim Verdacht, dass der Vertragspartner eine solche Person ist oder versucht, Sanktionen zu vermeiden, sollte der Vertragspartner zusätzlich überprüft werden. Dazu könnte man Empfehlungen des Dokuments in Anspruch nehmen, das vom Financial Crimes Enforcement Network (FinCEN) herausgegeben wurde. Gemäß diesen Empfehlungen ist Vorsicht geboten, wenn:
- es Informationen darüber gibt, dass sich die Eigentumsstruktur des Vertragspartners in den letzten drei bis vier Monaten geändert hat;
- die Struktur der Eigentümerkette bis zum wirtschaftlichen Endbegünstigten undurchsichtig und verwickelt ist;
- es offene Daten über den Vertragspartner gibt, die auf seine langfristige Zusammenarbeit mit sanktionierten Unternehmen und Einzelpersonen hinweisen;
- Bankkonten des Vertragspartners kurz vor Vertragsabschluss eröffnet wurden; oder
- der Vertragspartner darauf besteht, den Vertrag mit Gesellschaften abzuschließen, die vor kurzem gegründet wurden und die zuvor keine öffentliche Verbindung mit ihm hatten.
3. Verfahren zum Abschluss von Lieferverträgen
Es ist äußerst wichtig, sich über das Verfahren zum Abschluss von Lieferverträgen im Klaren zu sein. Angesichts der aktuellen Umstände werden die allermeisten Lieferverträge unter Abwesenden abgeschlossen, und zwar durch den Austausch von Dokumenten oder die Verwendung von elektronischen Signaturen. Ein Teil von Verträgen, die gemäß internationalen Musterformularen oder auf den entsprechenden elektronischen Plattformen abgeschlossen werden, wird zudem durch den Austausch von Mustermitteilungen geschlossen, die die wesentlichen Bedingungen von Lieferverträgen enthalten.
Damit solche Verträge als abgeschlossen gelten, muss darauf geachtet werden, ob das Verfahren und die Form des Vertragsabschlusses mit den für den Vertrag maßgeblichen Rechtsvorschriften oder mit den vereinbarten Vertragsabschlussregeln übereinstimmen.
Wenn der Vertrag beispielsweise dem ukrainischen Recht unterliegt, muss er die wesentlichen Bedingungen enthalten, die im Handels- und Zivilgesetzbuch der Ukraine festgelegt sind. Wenn die Parteien einen Vertrag anhand eines GAFTA-Mustervertrags abschließen, dann müssen sie Vertragsbedingungen in Übereinstimmung mit dem gewählten GAFTA-Mustervertrag vereinbaren.
Beim Abschluss eines Liefervertrags muss der Algorithmus genau befolgt werden, den die Parteien in diesem Vertrag bezüglich des Abschlussverfahrens festgelegt haben. Wenn der Austausch von eingescannten Kopien und die anschließende Übersendung von unterschriebenen Papieroriginalen vertraglich vorgesehen sind, ist dieses Verfahren einzuhalten.
Ein häufiger Fehler ist, einen Liefervertrag nach seinem Abschluss zu ändern, ohne dass das vertraglich festgelegte Änderungsverfahren eingehalten wird. Wenn der Vertrag kein spezielles Änderungsverfahren vorsieht, so sind alle Vertragsänderungen in der gleichen Weise vorzunehmen, die für die Vertragsunterzeichnung vorgesehen ist.
4. Einhaltung der Regeln des Dokumentenverkehrs
Es ist auch wichtig, das vertraglich festgelegte Verfahren zum Dokumentenverkehr einzuhalten. Dies hat eine besondere Bedeutung für die Ausfertigung von Mitteilungen, mit denen vertraglich festgelegte Folgen verbunden sind – Vertragskündigung, Aufschub von Vertragsverpflichtungen, Warenrückgabe oder Verzicht auf Vertragsverpflichtungen als solche.
Zu den Beispielen solcher Mitteilungen gehören Beschwerden über die mangelhafte Warenqualität (es kann vertraglich die Frist und der Inhalt von Mitteilungen über die mangelhafte Warenqualität festgelegt werden), Mitteilungen über den Eintritt von Umständen höherer Gewalt (es kann vertraglich eine maximale Frist für die Sendung solcher Mitteilungen festgelegt werden) usw.
5. Gesetzliche Einschränkungen
Die Abwicklung von Lieferverträgen während des Kriegszustands in der Ukraine hängt von den eingeführten Beschränkungen und Bedingungen ab, die sich auf das Zahlungsverfahren, die Zollabfertigung von Waren sowie das Import- und Exportregime beziehen. Zu beachten ist, dass sich solche Einschränkungen je nach aktueller Situation dynamisch ändern können.
Seit Beginn des großangelegten Krieges wurde in der Ukraine eine beträchtliche Anzahl von Beschränkungen und Bedingungen für die Lieferung und Erfüllung von Verpflichtungen aus Lieferverträgen mit ausländischen Vertragspartnern eingeführt.
Im Bereich von Devisenzahlungen hat beispielsweise die Nationalbank der Ukraine die Verordnung Nr. 18 vom 24. Februar 2022 „Über das Funktionieren des Banksystems in der Zeit des Kriegszustands“ verabschiedet. Gemäß dieser Verordnung wurde insbesondere Folgendes eingeführt:
- Verbot der Zahlungsabwicklung für Verbindlichkeiten in Fremdwährung (allerdings mit Ausnahme von Zahlungen für kritische Importgüter; für die Erfüllung von Verpflichtungen, die durch staatliche Garantien oder mit Kreditmitteln des Staates oder einer internationalen Finanzorganisation gesichert sind; für die Rückzahlung von Vorschüssen, die von Nichtansässigen nach dem 23. Februar 2022 erhalten wurden; und noch für eine Reihe von Fällen abzuwickeln sind);
- Änderung der maximalen Frist für die Abwicklung von Transaktionen beim Warenexport und -import (es gilt eine Frist von 120 Kalendertagen, die auf Transaktionen anwendbar ist, die seit dem 5. April 2022 durchgeführt wurden);
- Aussetzung von Ausgabetransaktionen auf die Konten von in der russischen föderation oder in der Republik Belarus ansässigen Unternehmen sowie von Unternehmen, deren wirtschaftliche Endbegünstigte in der russischen föderation oder der Republik Belarus ansässig sind.
Im Zeitraum vom 24. Februar 2022 bis zum 16. Juni 2022 wurde diese Verordnung bereits 23-mal geändert. Ähnlich verhält es sich auch mit anderen Vorschriften, die direkt oder indirekt Transaktionen im Zusammenhang mit der Erfüllung von Lieferverträgen regeln.
Unter solchen Bedingungen ist es beim Abschluss von Lieferverträgen erforderlich, alle aktuellen Informationen über die rechtliche Regelung solcher Transaktionen bei jedem Vertragsabschluss sorgfältig zu analysieren. Es empfiehlt sich auch, vertraglich zu vereinbaren, welche Folgen bei einer Änderung dieser Regelung für die Parteien eintreten.
6. Höhere Gewalt
Es liegt auf der Hand, dass der Krieg in der Ukraine und seine Folgen eine Ursache der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung von Lieferverträgen darstellen, und so wird es auch weiter sein. Dies kann sowohl auf Umstände des Krieges, als auch auf die Dynamik von gesetzlichen Änderungen zurückgeführt werden. Die Höhere-Gewalt-Klausel als Instrument zur Krisenregelung von Vertragsverhältnissen wird in diesem Fall für Lieferverträge ausschlaggebend sein.
Das könnte Sie auch interessieren: Höhere Gewalt in Verträgen während des Krieges in der Ukraine
Umstände, die während des Krieges in der Ukraine als höhere Gewalt angesehen werden können, umfassen nicht nur unmittelbare Kampfhandlungen und alle darauf bezogene Sicherheits- und rechtliche Einschränkungen und Folgen, sondern auch Folgendes:
- vom Staat auferlegte Handels- und rechtliche Einschränkungen (z.B. die Einführung von Einschränkungen für die Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine, Festschreibung von Preisen für bestimmte Warengruppen, Beschränkungen für Zahlungen in Fremdwährung);
- Sanktionen gegen Vertragsparteien oder Teilnehmer an Logistik- und Handelsketten (z.B. Beschlagnahme von Schiffen, die sich im Eigentum von sanktionierten juristischen Personen befinden, Beschränkung von Banktransaktionen, Einfrieren von finanziellen Mitteln); oder
- Verpflichtungen gegenüber dem ukrainischen Staat, die sich aus dem Kriegszustand ergeben (Mobilisierung von Mitarbeitern und Technikeinheiten).
Die Hauptvoraussetzung für eine wirksame Anwendung von Höhere-Gewalt-Klauseln ist ihre klare und korrekte Formulierung in Lieferverträgen. Dabei muss eine solche Formulierung nicht nur die Abwicklung von Lieferverträgen sicherstellen, sondern auch in normale Geschäftspraktiken nicht eingreifen.
Für Lieferverträge zwischen ukrainischen und ausländischen Unternehmen ist es wichtig, Umstände ausführlich zu beschreiben, die als höhere Gewalt gelten können, darunter:
- die Definition des Krieges in der Ukraine als Umstand höherer Gewalt zu präzisieren und die neuesten Methoden der Kriegsführung zu berücksichtigen: Cyberangriffe, Desinformationsoperationen, lokale Sabotageakte;
- anzugeben, dass Kampfhandlungen auch als höhere Gewalt betrachtet werden, wenn sie die Erfüllung von Verpflichtungen in anderen Gebieten materiell beeinträchtigen, als diejenigen, in welchen Kampfhandlungen tatsächlich geführt werden;
- aus Verfahren zur Anwendung der Höhere-Gewalt-Klausel alle zusätzlichen Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen den Parteien auszuschließen;
- Kommunikationskanäle zu vereinfachen;
- die Liste von Höhere-Gewalt-Umständen aufgrund der Folgen eines Krieges detailliert anzugeben: Sanktionen, Ausfälle von Zahlungssystemen, Handelsbeschränkungen, gesetzliche Änderungen, Einschränkungen für Banktransaktionen usw.;
- aus der Liste die Umstände auszuschließen, die in Kriegszeiten zu einer neuen kommerziellen Realität werden und dadurch zu erwarten und vorhersehbar sind: Verschlechterung der Wirtschaftslage, Inflation, Wirtschaftsrückgang; oder
- solche Verfahren wie Benachrichtigung, Aufschub der Vertragserfüllung, Aufhebung von Vertragsverpflichtungen und Bemessung der Entschädigung klar festzulegen.
Es sei darauf hingewiesen, dass Umstände höherer Gewalt nicht vorgegeben sind. Die Vertragspartei, die sich auf solche Umstände beruft, hat zu beweisen, dass diese tatsächlich vorliegen und den Merkmalen von Umständen höherer Gewalt entsprechen und dass ein Zusammenhang zwischen ihnen und der Nichterfüllung des Vertrags besteht.
Das Vorliegen von Umständen höherer Gewalt wird in der Ukraine durch die Industrie- und Handelskammer der Ukraine und den zuständigen regionalen Industrie- und Handelskammern bestätigt, indem ein entsprechendes Zertifikat ausgestellt wird. Die Zuständigkeiten der regionalen Industrie- und Handelskammern der Ukraine sind dabei begrenzt: sie dürfen beispielsweise keine Zertifikate für Außenhandelsverträge ausstellen.